Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Henning Scherf hat einen kurzen Beitrag gehalten, er hat aus meiner Sicht drei Aspekte dabei in den Vordergrund gestellt. Erstens: Die Haushaltsprobleme dieses Landes sind nicht alleine von diesem Land lösbar. Ich denke, da hat er Recht. Dieses Land ist auf andere angewiesen, hat er gesagt, das verlangt Sensibilität, das verlangt nach links und rechts zu gucken, ja, das stimmt Henning Scherf, aber das verlangt nicht, nach der Pfeife der Kochs und Stoibers zu tanzen.
Und Henning Scherf hat gesagt, es könne nicht darum gehen, Privilegien zu verteidigen sondern es müsse darum gehen, an die Veränderungen und an die Selbstveränderungen zu gehen und dazu bereit zu sein, und lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund zunächst einmal auf die Ausgangslage bei den Tarifen schauen.
Etwas mehr als fünf Monate ist es jetzt her, dass sich ver.di, die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, mit Bund und Kommunen auf einen Tarifabschluss geeinigt hat. Das war ein Abschluss, der eine umfassende Reform des Tarifrechts im öffentlichen Dienst bringt. Und das öffentliche Echo auf diesen Abschluss war enorm und selten einhellig.
Von einem "großen Wurf", wenn nicht sogar einem historischen Werk war da die Rede. Und das in Zeitungen, die nun wahrhaftig nicht in dem Ruf stehen, sonderlich gewerkschaftsfreundlich zu sein.
"Ein Sieg der Vernunft" war im Handelsblatt zu lesen. "Zudem", hieß es da weiter, "eröffnet der Abschluss die Chancen für einen Wandel, der dem Ziel der Entbürokratisierung womöglich mehr dient als alle Gesetze zum Bürokratieabbau". "Einen fairen Kompromiss", nannte der Tagesspiegel den Abschluss, "der auch die Modernisierung eines Tarifrechts bedeutet, das die Arbeits- und Einkommensbedingungen vieler Millionen Menschen regelt. Und zwar viel besser als zuvor."
Die Berliner Zeitung schrieb: "Es gab mal eine Zeit, da hatte das Wort "Reform" in Deutschland einen guten Klang. Rund 30 Jahre ist das her. Heute ist der Begriff negativ besetzt, weil viel zu häufig als Reform verkauft wird, was in Wahrheit nur ein geringer Fortschritt oder gar kein Fortschritt ist. Auf das neue Tarifrecht im öffentlichen Dienst trifft das nicht zu. Hier ist tatsächlich etwas Neues, Mutiges entstanden. Wer nicht mitmacht, schadet allen - auch sich selbst."
Die Zitate ließen sich fortsetzen. Das Bild bliebe dasselbe. Viele Stimmen - eine Botschaft und die lautete: Landesregierungen - und eben auch diese Landesregierung hier in Bremen - übernehmen Sie!
Nur darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es. Bund und Kommunen sind im Januar gemeinsam mit uns zu neuen Ufern aufgebrochen und an einem neuen Ufer angekommen.
Setzen jetzt auch die Länder über? Oder bleiben sie am anderen Ufer, am alten Ufer zurück? Das ist die Frage.
Wir alle werden Tag für Tag Zeuge, wie es an diesem alten Ufer gegenwärtig aussieht: Schon länger Beschäftigte müssen nach Tarifvertrag bezahlt werden. Ihre Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden. Sie erhalten volles Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Neueingestellte, Kolleginnen und Kollegen mit Befristung und Anschlussbeschäftigte bekommen derweil weniger Geld und arbeiten länger. Länger Beschäftigten, die auf einen höherwertigen Arbeitsplatz kommen wollen, versucht man ebenfalls, die Unterschrift zu längerer Arbeitszeit und geringerer Vergütung abzupressen.
Je nach Einfärbung der Landesregierung treffen wir dazu noch auf unterschiedlichste Arbeitszeiten - zwischen 38,5 und 42 Stunden, wir treffen auf unterschiedlichste Beträge bei Zuwendung und Urlaubsgeld - zum Teil einheitlich, zum Teil gestaffelt nach Alter, zum Teil gestaffelt nach Gehaltsgruppen - kurzum ein heilloses Durcheinander. Und das ist, Kolleginnen und Kollegen, eine Lage, die zur Zufriedenheit und Zusammenarbeit nicht eben förderlich ist. Lasst uns dieses Chaos beenden.
Alle wissen: Wir verzeichnen Jahr für Jahr Exportrekord auf Exportrekord. Und trotzdem kommt die Konjunktur nicht aus dem Quark. Warum ist das so? Weil der Binnenmarkt stagniert!
Und warum stagniert der Binnenmarkt? Vor allem, weil der Staat auf dem Feld der öffentlichen Investitionen schwächelt. Muss einen ja auch nicht wundern, wenn man allein bei den Unternehmenssteuern auf 60, 70 Mrd. Euro Steuereinnahmen verzichtet zugunsten der Gewinne.
Und der Binnenmarkt schwächelt, weil die Löhne stagnieren und obendrein es noch Arbeitgeber gibt, die versuchen, Lohnsenkungen noch obendrauf durchzusetzen.
Und nicht anders sieht es beim Thema Arbeitszeit aus. Weil der Binnenmarkt schwächelt, bleibt das Wachstum schwach. Weil das Wachstum schwach ist, bleibt die Arbeitslosigkeit hoch. 5 Mio. Arbeitslose - so viel wie zuletzt in den 30er Jahren. In so einer Situation die Arbeitszeit zu verlängern - was soll dabei anderes herauskommen als noch mehr Arbeitslose und noch mehr Arbeitslosigkeit, Kolleginnen und Kollegen?
Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Arbeitszeit und Arbeitslosigkeit, das sagen doch die Ministerpräsidenten selbst in aller Offenheit und in aller Öffentlichkeit. Roland Koch erklärt, der Übergang zur 42-Stundenwoche bei den Beamten in Hessen ermögliche es, 7.500 Arbeitsplätze einzusparen. Auf den gesamten öffentlichen Dienst übertragen bedeutet das, etwa 400.000 Arbeitsplätze zur Disposition zu stellen und zu verlieren. Kann man sich das bei 5 Mio. Arbeitslosen leisten? Im Leben nicht, Kolleginnen und Kollegen. So viel kann der Exportweltmeister beim Export gar nicht rausholen, wie im Inland bei einer solch verantwortungslosen Politik an Arbeitsplätzen verloren gehen.
Ich sage: Man kann nicht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Mund führen und praktisch das genaue Gegenteil davon tun. "Aber...", so hören wir immer wieder aus dem Kreis der Finanzminister, " ...Geld, das man nicht hat, kann man nicht ausgeben."
Kolleginnen und Kollegen, dagegen lässt sich nichts sagen. Das ist richtig!
Nur, warum kann sich dann ein Land wie Niedersachsen, um mal mit dem Verhandlungsführer der Länder anzufangen, dann leisten, 300 Betriebsprüferstellen von Steuerbeamten einzusparen? Warum können CDU/CSU-regierte Länder, wie Baden-Württemberg und Bayern, ein ums andere Mal Vorstöße zum Abbau von Steuersubventionen mit der eigenen Bundesratsmehrheit scheitern lassen, obwohl das mehrere hundert Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen bringen könnte?
Warum kann man sich fortgesetzt der höheren Besteuerung großer Erbschaften verweigern und im gleichen Atemzug von Straßenwärtern, PolizeibeamtInnen, Krankenschwestern, LehrerInnen und Feuerwehrleuten Lohnverzicht verlangen?
All das, Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur nicht überzeugend, es ist definitiv der falsche Weg. Was dabei rauskommt, daskann man an dieser Plastik unserer Kollegen aus dem KiTa-Bereich exzellent sehen, da werden die Dinge nämlich auf den Kopf gestellt. Die mit den stärksten Schultern belasten diejenigen mit den schwachen Schultern bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Aufgaben. Da stimmt doch irgendwas nicht, Kolleginnen und Kollegen.
Ich sage das auch und gerade vor dem Hintergrund der Bremer Situation und nach dem, was man aus der Diskussion im Senat kennt. Bremen hat die strikten Auflagen zur Aufgabenbegrenzung im Rahmen der Sanierungszahlungen nicht nur eingehalten, sondern übererfüllt. Der zugelassene Ausgabenspielraum im Sanierungszeitraum 1994 bis 2003 wurde von Bremen nur exakt zu einem Drittel ausgeschöpft, 17 % des Personals abgebaut, hunderte von Millionen eingespart und dennoch konnte das strukturelle Haushaltsdefizit nicht beseitigt werden und ist der Schuldenstand wieder gewachsen.
Das zeigt, es war und ist eine Illusion, dass Bremen unter den gegebenen Rahmenbedingungen aus eigener Kraft einen verfassungskonformen Haushalt erreichen kann. Weil dieses Land, Kolleginnen und Kollegen, ein Einnahmeproblem und kein Ausgabeproblem hat.
Und das ist ja eine Erkenntnis, die mittlerweile selbst bei der Handelskammer hier in Bremen angekommen ist, der ich auch ausdrücklich zustimme, wenn sie schreibt: "Die Erfolge der Sanierungsstrategie sind nicht von der Hand zu weisen. Sie werden allerdings von der Steuerproblematik überlagert." Ja, so ist es. Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es hier in Bremen Jahr für Jahr reales Wachstum, aber gleichzeitig rückläufige reale Steuereinnahmen. Und bei dieser Erosion der Steuereinnahmen, bei dieser Art von Steuerpolitik schließt sich der Kreis. Wer eine solche Politik betreibt, Kolleginnen und Kollegen, der muss sich nicht wundern, dass Haushaltsprobleme zu Lasten der BürgerInnen, zu Lasten der Bewältigbarkeit der gesellschaften Aufgaben anschließend die Konsequenz sind.
Unser Land braucht Wachstumsimpulse, und es braucht mehr Beschäftigung. Und dieses Land braucht einen leistungsstarken und bürgerInnenorientierten öffentlichen Dienst, einen öffentlichen Dienst, der sich in der Konkurrenz mit privaten Anbietern bewährt und behauptet, der seine Leistungsfähigkeit nachweist und verbessert. Das liegt im Interesse der BürgerInnen und der Beschäftigten.
Und deswegen, Kolleginnen und Kollegen, haben wir die Reform des Tarifrechts auch zu unserer Sache gemacht und mit Bund und Kommunen grundlegende Neuerungen im Tarifrecht vereinbart. Ich will daran erinnern: Wir haben das Tarifrecht vereinfacht und durchschaubarer gemacht. Wir haben zusätzliche Leistungselemente eingeführt. Wir haben das Bezahlungssystem durchlässiger gemacht, einheitliche Regeln für ArbeiterInnen und Angestellte geschaffen. Wir haben den öffentlichen Dienst für Jüngere attraktiver gemacht und dafür gesorgt, dass Führungspositionen erst einmal auf Zeit vergeben werden.
Das sind tiefgreifende Veränderungen. Ich denke, dass hier tatsächlich ein neues Kapitel aufgeschlagen worden, ein neues Ufer erreicht worden ist. Einigung ist möglich, Henning Scherf! Gemeinsam mit Bund und Kommunen haben wir es vorgemacht. Jetzt sind die Länder gefordert.
Das, denke ich, ist die Botschaft der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Das ist unsere Botschaft. Das ist die Botschaft der Personalversammlung.
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit.
Frank Bsirske, Vorsitzender Gewerkschaft ver.di