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"Anders sein können!"

Lesben und Schwule im bremischen öffentlichen Dienst

Männerpaar
Eine echte Gleichberechtigung ist noch nicht erreicht

In Bremen trifft sich seit zwei Jahren eine Gruppe von 25 bis 30 Lesben und Schwulen, die in unterschiedlichen Bereichen des bremischen öffentlichen Dienstes arbeiten. Die Treffen finden alle sechs bis acht Wochen statt. Die Gruppe hat Ende 2008 den Vorstand des Gesamtpersonalrats über die Situation von homosexuellen Beschäftigten informiert und um Unterstützung bei deren Belangen gebeten. Kontakt: Siegfried Essmann, Tel. 361-3525, siegfried.essmann@afsd.bremen.de
Zusätzlich gibt es seit vielen Jahren einen Lesben- und Schwulen-Stammtisch der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
In beiden Gruppen geht es nicht nur um ein nettes Beisammensein, sondern vorrangig um die am Arbeitsplatz auftauchenden Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen im Bezug auf Homosexualität.
Nicoletta Witt und Irmtrud Gläser haben für die MUMM mit Siegfried Essmann ein Gespräch geführt.

MUMM: Hat die Abschaffung des
§ 175 zu Veränderungen geführt?

Siegfried Essmann : Durch den Bestand des § 175 StGB bis 1994 (!) wurde staatlicherseits homosexuelles Verhalten stets in Kriminalitätsnähe gestellt. Diese Form der Abwertung und Diskriminierung ist entfallen. Politik hat an dieser Stelle eine rechtliche Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Lebensweisen geschaffen, die allerdings nicht in allen Rechtsbereichen nachvollzogen wurde.

[FETTGibt es eine steuerrechtliche Gleichbehandlung?]
Nein! Im Steuerrecht werden eingetragene LebenspartnerInnen jeweils in der Steuerklasse I veranlagt. Anders als bei kinderlosen heterosexuellen Ehepaaren. Eine gemeinsame steuerliche Veranlagung erfolgt bei eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht. Im Erbschaftsrecht gibt es auch weiterhin deutliche Ungleichbehandlungen.

Wo sehen Sie wichtige Ungleichbehandlungen für homosexuelle Beschäftigte des bremischen öffentlichen Dienstes?
Bremen ist in der rechtlichen Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Beschäftigten im Bundesvergleich sehr weit. Im Bereich der Hinterbliebenenversorgung sind die PartnerInnen von BeamtInnen mittlerweile gleichgestellt. ArbeitnehmerInnen hingegen sind bei den Versorgungsansprüchen gegenüber der VBL und bei freiwilligen Leistungen der VBL nicht gleichgestellt. Das heißt, Hinterbliebene aus homosexuellen eingetragenen Lebenspartnerschaften haben keine Ansprüche auf VBL-Leistungen.

[FETTWas tut Bremen für die Gleichbehandlung hetero- und homosexueller Lebensformen?]
Die Koalitionäre aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben zugesagt, alle Landesgesetze mit dem Ziel einer Gleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Lebensformen zu überprüfen und ggfs. zu ändern. Das ist eine offensive Verantwortungsübernahme für die homosexuellen Bremer Bürgerinnen und Bürger.

[FETTWas könnte der bremische öffentliche Dienst zur Unterstützung von Vielfalt leisten?]
Projekte, Veröffentlichungen, Planungen, Gesetzesinitiativen etc. sollten auf die Interessen von Lesben und Schwulen hin betrachtet und gestaltet werden.
Wesentlich wäre eine Kontaktperson bei der Polizei in Verbindung mit der Einrichtung eines schwul-lesbischen Überfalltelefons, wie es dieses in anderen Großstädten bereits gibt.
Eine zentrale Service- und Anlaufstelle für lesbische und schwule Bürgerinnen und Bürger wäre aus unserer Sicht sinnvoll. Hier könnten Anregungen und Informationen gesammelt und weitergegeben werden, aber auch Hinweise auf körperliche Gewalt, offensichtliche Diskriminierung (z.B. Beschimpfungen) und subtile Diskriminierung (z.B. üble Nachrede) aufgenommen und an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
Bei der Förderung z.B. von Mehrgenerationsmodellen oder Wohnformen für die ältere Bevölkerung sollten auch die Lebensvorstellungen von homosexuellen Frauen und Männern geklärt und berücksichtigt werden. Diese Themen könnten z.B. im Rahmen von Angeboten der Altenhilfe oder Einrichtungen wie Häuser der Familie aufgegriffen werden.
In den Niederlanden werben Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung gezielt um Lesben und Schwule als MitarbeiterInnen. Dieses könnte auch in Bremen erfolgen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich durch den GPR?
Wir wünschen uns, dass der GPR ein Augenmerk auf die Interessen von Lesben und Schwulen hat bei den vielfältigen Themen, mit denen der GPR konfrontiert ist. Hier könnte sich der GPR im Sinne von einer Gleichbehandlung von homosexuellen Beschäftigten einmischen.

Gibt es Diskriminierungen gegenüber schwulen und lesbischen KollegInnen im bremischen öffentlichen Dienst?
Diskriminierungen werden bisher nicht systematisch erfasst. Dafür gibt es keine zuständige Stelle. Aber es gibt durchaus Berichte, in denen deutlich wird, dass sich KollegInnen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung belästigt oder gar bedroht fühlen oder bedrohliche Situationen erlebt haben. In jedem Fall gibt es offensichtlich eine deutliche gefühlte Bedrohung.
Im Bereich der Schulen wird das Wort „schwul“ durchgängig als Schimpfwort von SchülerInnen benutzt. Das trifft natürlich auch die dort arbeitenden LehrerInnen. An der Schule Walliser Straße wurde vor kurzem das Thema Diskriminierung von Lesben und Schwulen groß thematisiert. Es wurde ein schwuler Lehrer aus Berlin „eingeflogen“. Offenbar war keine Lehrerin und kein Lehrer aus Bremen bereit, sich dort als homosexuell zu outen - wohl wegen begründeter Ängste vor anschließender Diskriminierung.

Fazit: Bis zu einer echten Gleichbehandlung nach den Grundsätzen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist noch vieles zu tun!

Irmtrud Gläser
Nicoletta Witt