Im letzten Jahr schlug der bisher schwerste ökonomische Absturz in der Bundesrepublik wie eine Bombe ein. Die Gesamtwirtschaft verzeichnete Produktionsverluste um knapp 5%. Die negativen Folgen dieses überraschenden Einbruchs werden vor allem bei den öffentlichen Haushalten sowie im Bankensystem noch lange spürbar sein.
[FETTLehren aus der Krise]
Die Frage stellt sich, warum der Absturz schnell beendet wurde und in diesem Jahr wieder ein jedoch instabiles Wirtschaftswachstum von um die 2% zu erwarten ist. Entscheidend war der Mut zum Wechsel zu einer Politik des gegen die Krise steuernden und gestaltenden Staates: Bereits ab Oktober 2008 wurden die Konjunkturprogramme I und II, ein Rettungsfonds für die Banken mit einem Volumen von 480 Mrd. € sowie ein Wirtschaftsfonds auch für kleinere und mittlere Unternehmen im Umfang von 115 Mrd. € aufgelegt. Beschäftigungspolitisch entpuppte sich die von den Gewerkschaften initiierte sowie mit den Arbeitgebern und der Bundespolitik durchgesetzte Verlängerung des Kurzarbeitergeldes als eine Meisterleistung. Damit wurde zum ersten Mal im konjunkturellen Abschwung der gleichlaufende Abbau von Jobs verhindert. Jetzt stehen im Zuge der konjunkturellen Besserung die Beschäftigten in den Betrieben wieder zur Verfügung.
Diese aktive Finanzpolitik sollte, gerade auch im Interesse künftiger Generationen, fortgesetzt werden, um die ökonomisch-ökologischen Wachstumspotenziale ausschöpfen zu können und künftige Krisenrisiken zu minimieren. Mangelndes Bildungskapital und zerstörtes Umweltkapital würden hingegen künftigen Generationen eine unverantwortliche Erblast aufbürden. Nicht mehr Markt, sondern ein Mehr an gestaltender und regulierender Politik ist zur Vermeidung von Krisen in den kommenden Jahren angesagt. Dazu gehört auch die Abkehr von Privatisierungen öffentlicher Aufgaben nach der Ideologie der Marktentfesselung. Diese hat zu ökonomischen Effizienzverlusten, die auch die Unternehmen belasten, sowie zur sozialen Spaltung geführt. Derzeit gibt es viele Initiativen, zwischenzeitlich privatisierte öffentliche Aufgaben zu rekommunalisieren. Es geht um die Einsicht, die John Kenneth Galbraith schon Ende der 50er Jahre für die USA formuliert hatte: "Öffentliche Armut bei privatem Reichtum" wirkt wie eine ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungsbremse. Die wichtigste Aufgabe ist es, die öffentlichen Aufgaben ideologiefrei zu definieren, um deren Finanzierung auch sicherzustellen.
Im Gegensatz dazu setzt die Bundesregierung auf den neoliberalen Rückzug aus der gesamtwirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung. Verabsolutiert wird der Abbau der öffentlichen Nettoneuverschuldung. Ab 2011 bis 2014 ist ein massiver Abbau staatlicher Ausgaben zusammen mit einigen wenigen Steuerbelastungen für Unternehmen im Umfang von ca. 82 Mrd. € vorgesehen. Dieses „Zukunftspaket der Bundesregierung“ - so der Titel - gefährdet die Zukunft. Dies belegen die Schwerpunkte der Haushaltssanierung: Während der Sozialabbau im Mittelpunkt steht, fallen die Belastungen der Wirtschaft sowie einiger Sektoren (Energiewirtschaft, Luftfahrt) vergleichsweise deutlich geringer aus. Unter der Überschrift „Neujustierung von Sozialgesetzen“ werden das Elterngeld für Hartz IV-Familien gestrichen, das allgemeine Elterngeld leicht gekürzt, arbeitsmarkt-politische Maßnahmen zum besseren Übergang aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung reduziert und der Heizkostenzuschuss beschränkt. Zum Schrumpfprogramm gehören jedoch auch massive Einsparungen im Verwaltungsbereich, die zum Abbau von Stellen führen. Dagegen fällt die Beteiligung der Unternehmen an der Finanzierung dieses Programms vergleichsweise spärlich aus. Die durch eine Besteuerung der Brennelemente erkaufte Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten ist ökologisch und politisch eine Provokation. Dieser Politiklogik folgend fehlt der Regierung beim notwendigen Abbau von Steuergeschenken an Unternehmen der Mut. So bleibt es beim Geschenk in Form des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von 7% an das Übernachtungsgewerbe.
Entscheidende Triebkraft ist die in das Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse. Die Schuldenbremse sieht vor, dass der Bund abgesehen von einer konjunkturellen Komponente ab 2016 nur noch 0,35% des Bruttoinlandsprodukts netto an Krediten aufnehmen darf. Gegenüber der Nettoneuverschuldung in diesem Jahr mit ca. 60 Mrd. € wären das 2016 noch knapp 10 Mrd. €. Die Bundesländer müssen ab 2020 komplett auf die Neuverschuldung zur Finanzierung ihrer Haushalte verzichten.
Für das Land Bremen heißt das, dass die derzeit knapp 1 Mrd. € an Neuverschuldung auf Null zurückgeführt werden muss. Die Bremische Finanzplanung sieht eine Annäherung an die Nulllinie ab 2020 in zehn jährlichen Schritten mit 100 Mio. € vor. Selbstverständlich gehört zur Aufgabenkritik, Einsparmöglichkeiten zu identifizieren und zu realisieren. Aber der mit der Schuldenbremse geplante Aderlass führt zu einer strukturellen Unterversorgung mit öffentlichen Dienstleistungen und Investitionen. Sollte diese Ausgabenreduzierung erzwungen werden, dann ist klar: Bremen kann dann die Mindestausstattung für seine Bürgerinnen und Bürger im Stadtstaat nicht mehr sicherstellen. Wird die Schuldenbremse durchgesetzt, dann drohen die haushälterische Souveränität und damit die politische Selbstständigkeit des Landes Bremens auszutrocknen. Dies gilt nach Auffassung des rheinland-pfälzischen Finanzministers Ingolf Deubel auch für viele andere Bundesländer. In einem Gutachten für die Länder schreibt er: "Klar scheint aber zu sein, dass"…"in vielen Ländern die bis zum Jahr 2020 gestellten Aufgaben fast unlösbar sind" (siehe Weser-Kurier 31. Juli 2010, S. 11). Das Gutachten bezieht sich auf eine auch für Bremen wichtige, jedoch komplizierte Ausnahme vom Schuldenverbot der Länder. Die Länder sollen immerhin im Ausmaß von Konjunkturdellen dadurch entstandene Haushaltslöcher durch öffentliche Kredite stopfen dürfen. Im Streit um das angemessene Verfahren zur Ermittlung von konjunkturbedingten Defiziten schlägt Deubel eine Ausrichtung am mittelfristigen Pfad der Steuerentwicklung vor. Diese Regelung, die auch das Land Bremen gegen den Bund anstrebt, verdient Unterstützung. Dadurch öffnet sich zumindest in konjunkturellen Krisen ein Finanzierungsspielraum per Kreditaufnahme.
Grundsätzlich muss die gegen die Krise eingesetzte aktive Finanzpolitik angestrebt werden. Andererseits muss das föderale Finanzsystem reformiert werden. Dazu gehört eine stärkere Belohnung der Bundesländer für ihre vor Ort erzielten Steuereinnahmen. Genau hier hat die Föderalismuskommission II versagt. Anstatt den Auftrag einer Reform des föderalen Finanzsystems anzugehen, ist am Ende nur die Schuldenbremse übrig geblieben. Der Verfassungsrang dieser Schuldenbremse darf kein Vorwand sein, deren negative Folgen sowie die finanzpolitischen Versäumnisse zu verschweigen.
Für alle öffentlichen Haushalte gilt: Nicht eine ausufernde Ausgabenexpansion, sondern die unzureichenden öffentlichen Einnahmen bestimmen die Budgetkrise. Zu finanzieren ist ein gut funktionierender öffentlicher Sektor, der der Gesellschaft, der Wirtschaft und insbesondere künftigen Generationen dient. Sozialer Ausgleich, ökologischer Umbau sowie Infrastrukturzukunftsinvestitionen sind und bleiben öffentliche Kernaufgaben. Deren Finanzierung muss sicher gestellt werden. Intensiv diskutierte und machbare Vorschläge zur Stärkung der fiskalischen Basis sind: Erhöhung des Spitzensteuersatzes in Richtung 50% und Verschiebung des Beginns der Spitzenbesteuerung, Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinseinkünfte mit derzeit 25%, Einführung einer Vermögensteuer, die Durchforstung der mit 7% Mehrwertsteuer belasteten Güter und Dienstleistungen sowie die Einführung einer ergiebigen Steuer auf Finanzmarkttransaktionen. Schließlich stellt sich auch im Land Bremen die Aufgabe, die Steuerüberprüfung und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch mehr Personal zu stärken. Schließlich sollte die Befreiung von der Strafverfolgung durch Selbstanzeige (§ 371 Abgabenordnung) bei einer Steuerhinterziehung aufgehoben werden.
Rudolf Hickel