Der Bundestag hat beschlossen, dass die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden sollen. Philosophisch betrachtet markiert diese Entscheidung eine Zeitenwende, eine Umorientierung von so historischen Ausmaßen, dass die MUMM ihren LeserInnen einen Kommentar dazu nicht vorenthalten will. Denn nur vordergründig geht es hier um Kernkraftwerke. Es geht um Entschleunigung und um die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft.
Endlich hat mal eine Regierung den Mut gefunden, angemessene Rahmenbedingungen für Unternehmen zu schaffen, die eine zukunftsweisende, langfristig orientierte Wirtschaftsweise anstreben. Wirklich beeindruckend: Die planen nicht wie börsenüblich das nächste Quartal und auch nicht wie einst im real existierenden Sozialismus in 5-Jahres-Rhythmen, die planen für die nächste Million Jahre.
Schon stellen wir fest, dass die Laufzeitverlängerung eine mächtige Eigendynamik entfaltet. Alles wird bedächtiger, übereilte Veränderungen werden noch einmal überdacht. So berichten unsere KollegInnen von der Polizei über die längsten Schichten ihres Lebens. 30 bis 40 Stunden am Stück waren sie im Einsatz! Und das ist ja auch effizient, wenn man es sich ersparen kann, immer wieder andere KollegInnen in die komplizierte Lage rund um den Castor-Transport einzuweisen.
Was für die tägliche Laufzeit richtig ist, kann für die Lebenslaufzeit nicht falsch sein. Die Rente mit 67 und entsprechende Änderungen im Versorgungsrecht können und werden da nur der Anfang sein. Die Arbeitsministerin hat ja auch gerade ein Jobwunder für die über 60-Jährigen angekündigt. Der demografische Wandel muss kein personalwirtschaftliches Problem sein, und auch das Lamentieren über den drohenden Wissensverlust beim Ausscheiden älterer Kolleginnen und Kollegen kann man sich sparen. Werft die Kompetenzen der Alten nicht weg - lasst sie einfach weiterarbeiten. Nur wer sich wirklich kaputtgeschuftet hat, sollte noch ein Gnadenbrot bekommen. So geht Sozialstaat heute.
Apropos - schon sehe ich einen neuerlichen Akt der Entschleunigung am Horizont. Die Laufzeit des Finanzmarktstabilisierungsfonds, eigentlich bis zum 31.12.2010 begrenzt, könnte auf der Zielgeraden noch einmal verlängert werden, um etwaige Fehlspekulationen deutscher Banken mit irischen Anleihen aufzufangen. Irgendwo muss man schließlich mit dem Geld bleiben, das für Renten und Pensionen bald nicht mehr gebraucht wird.
Burkhard Winsemann