Ein Gastkommentar von Achim Truger
Seit vielen Jahren schon erleben die Beschäftigten im öffentlichen Dienst das immer gleiche Spiel: Wenn die Gewerkschaften angemessene Lohnsteigerungen, eine vernünftige Personalausstattung und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die öffentlich Beschäftigten fordern, wird ihnen von Arbeitgeberseite entgegengehalten, dafür sei schlicht und ergreifend kein Geld da. Die öffentlichen Haushalte seien tief in den roten Zahlen, es müsse daher gespart werden. Dies gilt für alle staatlichen Ebenen. Der Bund hat zur Einhaltung der Schuldenbremse bis zum Jahr 2016 ein Sparpaket verabschiedet, dessen Schwerpunkt auf Kürzungen im sozialen Bereich und - wie sollte es anders sein - bei der öffentlichen Verwaltung liegt. In den Ländern muss bis 2020 der Übergang zu strukturell ausgeglichenen Haushalten organisiert werden, so dass auch hier fast überall die nächsten Sparhaushalte anstehen. Angesichts des aufgabenbedingt hohen Personalkostenanteils und der zu erwartenden Ausgabenanstiege im Bereich der Pensionen bei den Ländern liegt ein Schwerpunkt der Kürzungsdebatten auch hier wieder bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die in den vergangenen zehn Jahren immer stärker unter Druck geratenen Kommunen schließlich verzeichneten in den letzten beiden Jahren riesige Defizte und setzen ebenfalls überall den Rotstift an. An der allgemeinen Kürzungsmentalität ändert auch die bislang unerwartet kräftige konjunkturelle Erholung kaum etwas, zumal der zu erwartende Konjunkturabschwung im nächsten Jahr die Probleme bereits wieder verschärfen wird. Das ist nicht nur für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst eine frustrierende Perspektive, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger: Die zu Recht allenthalben geforderte und Ausweitung von zentralen Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung sowie ökologische und traditionelle Infrastruktur wird ohne eine Aufwertung und einen Ausbau des öffentlichen Dienstes nicht funktionieren. Sie müssen daher weiter mit nicht bedarfsgerechten öffentlichen Leistungen zurechtkommen oder werden über steigende Gebühren oder Beiträge zur Kasse gebeten. Woher kommen aber eigentlich die Defizte in den öffentlichen Haushalten und der ganze Konsolidierungsdruck? Glaubt man einer weit verbreiteten Meinung, haben der Staat und seine Beschäftigten schon seit langem über ihre Verhältnisse gelebt und die öffentlichen Ausgaben aus dem Ruder laufen lassen. Allerdings ist der Vorwurf einer verschwenderischen Ausgabenpolitik vollkommen absurd: Von 1998 bis 2010 erhöhten sich die gesamtstaatlichen Ausgaben nominal pro Jahr im Durchschnitt nur um 1,8%; real stagnierten sie mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 0,2% im selben Zeitraum. Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit nach Japan "Vize-Weltmeister" in sparsamer Ausgabenpolitik. In den Ländern der alten EU - auch solchen, die nicht von der aktuellen Schuldenkrise betroffen sind - stiegen die Ausgaben im selben Zeitraum nominal um durchschnittlich 3,8% pro Jahr; real waren es immerhin 1,8%. Damit kann die Ursache nur auf der Einnahmenseite liegen. Einen wichtigen Beitrag hat sicherlich die lange Zeit schlechte Konjunktur geleistet. Doch die entscheidende Ursache liegt woanders: Die Steuereinnahmen wurden seit dem Jahr 2000 immer wieder empfindlich durch Steuersenkungen geschwächt. Das ist kein Geheimnis, sondern wurde jeweils vor Verabschiedung der Gesetzesänderungen vom und des Finanzministeriums ordnungsgemäß berechnet und dokumentiert. Summiert man die Zahlen auf und schreibt sie falls nötig fort, ergibt sich ein erschreckendes Bild: Insgesamt belaufen sich die steuerreformbedingten Ausfälle der drei Bundesregierungen seit 1998 auf rund 50 Mrd. Euro jährlich - der Spitzenwert wird in diesem Jahr mit ca. 51 Mrd. Euro erreicht. Dabei handelt es sich um Nettozahlen, d. h. die im selben Zeitraum zu verzeichnenden Steuererhöhungen sind bereits gegen gerechnet. Zum Vergleich: In diesem Jahr ist von einem gesamtstaatlichen Defizt von knapp 25 Mrd. Euro auszugehen. Rein rechnerisch könnte der Staat in diesem Jahr also bereits deutliche Haushaltsüberschüsse ausweisen. Von den Steuersenkungen sind Bund, Länder und Gemeinden je nach ihren Anteilen am Steueraufkommen betroffen. Für das Land Bremen ergibt eine grobe vorsichtige Schätzung in diesem Jahr eine steuerreformbedingte Minderung der Steuereinnahmen um knapp 300 Mio. Euro. Das große Defizt der Hanse-tadt von etwa 1 Mrd. Euro würde ohne die Steuersenkungen nicht verschwinden, es könnte aber wohl um ein gutes Drittel geringer ausfallen. Verschlimmert wird die fiskaisch katastrophale Bilanz der Steuerpolitik dadurch, dass sie die ohnehin trendmäßig zunehmende Schieflageder Einkommens- und Vermögensverteilung weiter verschärft hat. Unternehmen und reiche Haushalte profitierten weit überproportional. Die zwischendurch umgesetzten Steuererhöhungen - vor allem die Mehrwert-steuererhöhung 2007 - trafen dagegen besonders die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen. Ein höheres Wachstum haben die Reformen auch nicht gebracht: Es ist frappierend, dass die Phase weitreichender Steuersenkungen von 2001 bis 2005 identisch mit der langen Stagnationsphase der deutschen Wirtschaft ist, während der Aufschwung 2006 und 2007 genau in eine Phase deutlicher Steuererhöhungen fällt. Kommt es nicht zu einem Wandel in der Steuerpolitik, so kann der Teufelskreis aus schlechteren öffentlichen Leistungen, steigender Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger und weiteren Steuersenkungen nicht durchbrochen werden. Daher verbieten sich für längere Zeit weitere Steuersenkungen. Wenn die Handlungsfähigkeit des Staates und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes auf den traditionellen Handlungsfeldern gesichert und gleichzeitig zentrale Zukunftsinvestitionen getätigt werden sollen, ohne dass die Defizte zunehmen, dann führt an Steuererhöhungen kein Weg vorbei. Um die stark angestiegene, auch makroökonomisch schädliche, Schieflage der Einkommensverteilung zu korrigieren, sollten sie sich auf einkommens- und vermögensstarke Haushalte konzentrieren. Daher kämen insbesondere eine spürbare Anhebung des Einkommensteuertarifs im Bereich hoher Einkommen, eine deutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer für große Erbschaften, die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie die Einführung einer Finanztransaktionsteuer in Frage. Es geht nicht um ein "Abkassieren" breiter Bevölkerungsschichten zu Gunsten eines aufgeblähten öffentlichen Dienstes, sondern um ein sozial gerecht finaziertes Programm zur Verbesserung der Lebensqualität der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.
1969 in Köln geboren
Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln
1997 Promotion an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln
Seit 1999 Leiter des Referates "Steuer- und Finanzpolitik" in der Hans-Böckler-Stiftung, zuerst im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) und ab 2005 im Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
Arbeitsschwerpunkte: Steuer- und Finanzpolitik, Makroökonomie und (europäische) Wirtschaftspolitik