Ängste und Verunsicherung treiben die Menschen um. Ursache ist eine kaum noch zu entziffernde Vielfalt von Bedrohungen: Die Weltwirtschaft schwächt sich ab. Auch in Deutschland werden erste Bremsspuren sichtbar. Über das gesamte Jahr gerechnet bewegt sich das Wirtschaftswachstum in Richtung Stagnation. Wieder einmal zeigt sich, wie die starke Exportabhängigkeit wegen der schwachen Binnenwirtschaft durchschlägt. Erstmals steigt wieder die Zahl der registrierten Arbeitslosen. Zugleich nehmen die prekären Jobs zu. Noch sprudeln die Einnahmen der öffentlichen Haushalte per Steuern und Sozialversicherungsabgaben überraschend stark. Mit der typischen zeitlichen Verzögerung werden jedoch auch
die öffentlichen Haushalte di Abschwächung der wirtschaftlichen Entwicklung zu spüren bekommen. Unbestreitbar werden die wirtschaftliche sowie die politische Entwicklung durch die Eurokrise angetrieben. Das Euroland droht trotz kaum noch zu ermessender Finanzhilfen an die Euro-Krisenstaaten auseinanderzubrechen. Existenzielle Ängste legen sich wie Mehltau über die Gesellschaft. Große Sorgen konzentrieren sich auf die Gefahr einer Inflation, die die Einkommen und Ersparnisse auffressen könnte. Hinzu kommt die nicht einmal ansatzweise bewältigte Bankenkrise. Das Vertrauen in sichere Spareinlagen und Lebensversicherungen schwindet bedrohlich. Schließlich sind die Zweifel an der für die Euro-Währung zuständigen Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihren schwer durchschaubaren Aufkäufen von Ramschanleihen aus den Krisenländern groß. Und dann gießt noch der Chef der Deutschen Bundesbank mit seiner offenen Kritik an der EZB Öl ins Feuer.
Diese Mischung aus unterschiedlichen Ängsten und einem tiefen Vertrauensverlust ist brandgefährlich. Sie belastet eine sachliche Diskussion und rationale Entscheidungen zum Abbau der Krisenherde. Dazu trägt die vorherrschende Beratungsökonomik bei. Die Gruppe der "Wutökonomen" klärt mit ihren schlampigen Appellen gegen eine Rettung des Eurolandes nicht auf. Vielmehr produzieren sie Desorientierung. Mit einer zum Teil bewusst verschleiernden Begriffswahl wird diese weit verbreitete Verunsicherung doppelt missbraucht: Zum einen geht es mit dem Zusammenbruch des Euro um die Rückkehr zu nationalen Währungen. Die nationalistischen Töne beim Schwur auf den alten D-Mark-Imperialismus sind unüberhörbar. Zum anderen wird die Übermacht der Märkte, die ohnehin schon die heutige Politik drangsaliert, streng nach der neoliberalen Doktrin vorangetrieben.
Bei der Suche nach den Ursachen der Eurokrise wird viel Verschleierung betrieben. Von Anfang an waren es die falschen Weichenstellungen im Maastrichter Vertrag, der Ende 1991 verhandelt wurde. Dort sind nur monetäre Kriterien mit dem scheinbaren Ziel, die Inflation zu vermeiden, berücksichtigt worden. Realwirtschaftliche Kriterien wie die Produktivität und die Wirtschaftsstruktur wurden ebenso wie die Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt. Diese Währungs- ohne Wirtschaftsunion musste die Spaltung zwischen den nationalen Ökonomien vorantreiben. Der Mut zum Aufbau einer Verantwortungs- und Wirtschaftsunion fehlte. Dazu kam eine viel zu zögerliche, nationalstaatlich reduzierte Rettungspolitik in den letzten Jahren. Damit ist auch nicht der starke Anstieg der Staatsschulden in den letzten Jahren die Ursache der Krise sondern vielmehr ihre Folge. Die Staaten mussten sich in den vergangenen vier Jahren massiv verschulden, erstens wegen der Maßnahmen zur Rettung der Banken, zweitens wegen der Stabilisierungsprogramme, die den Konjunktureinbruch infolge der Finanzkrise bremsen sollten, und drittens wegen des drastischen Rückgangs der Steuereinnahmen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sobald die Staatsschulden in die Höhe stiegen, nutzten dieselben Finanzunternehmen, die gerade noch von den Rettungsmaßnahmen profitiert hatten, die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone, um gegen das jeweils schwächste Glied in der Kette zu spekulieren. Es ist untragbar, wie sehr inzwischen die südlichen Euro-Staaten und ihre als vermeintlich faul oder unfähig beschimpften Bevölkerungen für die Krise verantwortlich gemacht werden, anstatt der Nieten in Nadelstreifen in den europäischen Großbanken und in der staatlichen Finanzregulierung und -aufsicht. Dagegen muss sich eine entschiedene und zukunftsfähige Politik mit dem Ziel, die soziale Lage der von Erwerbsarbeit Abhängigen innerhalb Europas zu verbessern, umgesetzt werden. Derzeit ist die Rettung der Eurowährung durch deren Weiterentwicklung und Einbindung in eine Wirtschafts- und schließlich Politische Union vorrangig. Nachdem das gelungen sein wird, muss jedoch endlich die EU zu einer Sozial-, Beschäftigungs- und Umweltunion ausgebaut werden.
Wir stehen heute nur noch vor einer Alternative: Entweder der Ausstieg aus der Euro-Vergemeinschaftung durch renationalisierte Währungen oder ein mutiger Ausbau durch die Korrektur schwerer Gründungsfehler. Mit der Politik der Bundeskanzlerin des Durchwurschtelns wird die Vertrauenskrise und am Ende der Zusammenbruch beschleunigt. Die aktuelle Systemkrise kann nur mit mutigen kurzfristigen Maßnahmen auf der Basis eines Zukunftskonzepts zur ökonomischen Integration Europas überwunden werden. Dabei müssen die Interessen der von Arbeitsplätzen Abhängigen an guter Arbeit im öffentlichen und privaten Sektor Vorrang haben.
Eine vergleichende Bewertung eines Ausstiegs aus dem Euro belegt: Der seit dem 01.01.1999 etablierte Euro hat wirtschaftlich viele Erfolge gebracht. Vor allem Deutschland hat mit seinen Exporten in die anderen Euroländer profitiert. Auch ist der Euro weltweit eine stabile und damit attraktive Anlagewährung. Ohne den Euro hätten in der letzten Finanzkrise Spekulanten durch Wetten auf die Wechselkurse massive Schäden angerichtet. Den Spekulanten das Handwerk zu legen, war die Idee, die Giscard d´Estaing und Helmut Schmidt auf dem Eurogipfel im Sommer 1978 in Bremen bei der Schaffung eines Europäischen Währungssystems angetrieben hat und am Ende zur einheitlichen Währung führte. Würde die Eurowährung verschwinden, wären die ökonomischen, sozialen und politischen Schäden riesig. In Deutschland würde dies durch die Rückkehr zu einer stark aufgewerteten D-Mark zu massiven Jobverlusten führen. Allerdings darf sich die EU nicht nur auf Binnenmarkt plus Währungsunion konzentrieren. Endlich müssen die sehr unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen angeglichen werden. Helmut Kohls und Theo Waigels unverantwortliche Illusion von der einheitlichen Währung, die aus sich heraus genügend Integration schaffe, hat maßgeblich die Krise produziert. Faktisch wurde die Spaltung innerhalb des Eurolands nicht abgebaut, sondern vertieft.
Es gibt einen steinigen Weg aus der umfassenden Eurokrise auf der Basis einer Vision von einer Politischen Union. Kurzfristig sind die Rettungsschirme richtig. Spekulanten verlieren ihr Schlachtfeld und gekauft wird Zeit für die Überwindung der Eurokrise. Die gemeinsame Haftung verlangt ein Konzept zum Schuldenabbau über einen Tilgungsfonds sowie die künftige Neuverschuldung mit Eurobonds.
Die Notenbank hat, ob sie will oder nicht, die Aufgabe, die Finanzmärkte zu stabilisieren. Sie muss durch eine Bankendisziplinierungsunion, die rechtzeitig Fehlentwicklungen verhindert, ergänzt werden. Dabei hat eine gegen die Krise gerichtete Geld- und Finanzpolitik durchaus genügend Spielraum. Denn es drohen keine Inflationsgefahren. Die Geldschwemme führt nicht zu einem Schub bei der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Erforderlich ist vor allem ein Konzept zum Aufbau und zur Stärkung der Produktionswirtschaft in den Krisenländern. Denn die Rotstiftpolitik mit massiven Kürzungen bei den sozial Schwachen zwingt die Länder in die Krise und treibt mangels Steuereinnahmen am Ende die Schulden in die Höhe. Gegen die Notverordnungspolitik à la Brüning wird ein Herkules-Plan gesetzt.
Wie die katastrophalen Wirkungen in den Krisenländern zeigen, Schuldenbremsen erhöhen am Ende die Krisenkosten. So behindert auch die Fiskalunion mit der Schuldenbremse in der EU eine Politik, die die Wirtschaft stärkt und über eine gerechte Steuerpolitik die Finanzierung öffentlicher Haushalte verbessert. Im Kern gilt dies auch für die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse in Deutschland. Kein Zweifel, die Finanzierung ordentlicher Aufgaben im öffentlichen Sektor muss dauerhaft auch ordentlich finanziert werden, d. h. mit Steuern. So lange jedoch eine gerechte Besteuerung durch die Einführung einer an der ökonomischen Leistungsfähigkeit ansetzenden Vermögensteuer verhindert wird, blockiert die mechanistische Schuldenbremse die Finanzierung wichtiger Investitionsausgaben und des öffentlichen Dienstes insgesamt. Das zeigt sich heute schon in Bremen bei einer Finanzpolitik, die den Pfad in Richtung Nullverschuldung ab 2020 vorfolgt. Dadurch entstehen Lasten nicht nur für die heutige, sondern auch für künftige Generationen.