Zwei Familien haben Streit. Die Kinder Yasemin und Osman sollen heiraten, sie sind sich schon lange versprochen worden. Yasemin möchte aber Osman nicht heiraten und auch wenn Osman es nicht ganz klar ausdrückt, auch er hat andere Pläne für die Zukunft. Osmans Familie sieht die Familienehre verletzt und fordert jetzt eine finanzielle Entschädigung zum Ausgleich. Yasemin fürchtet, dass der Streit eskaliert. Sie wendet sich hilfesuchend an die Polizei.
MUMM: Thomas, wie kannst du als Integrationsbeauftragter der Polizei den Familien helfen?
Thomas Müller: Der Kollege von der Wache ruft mich an und macht mich auf den Fall aufmerksam. Ich vermute anhand der Namen, dass es sich um islamische Familien handelt. Der Kontaktbereichsbeamte (KOP), den ich befrage, bestätigt das.
Ich weiß, dass Zwangsehen nach der islamischen Religion nicht erlaubt sind. Mit einem Hodscha*, mit dem ich bereits in ähnlichen Situationen zusammengearbeitet habe, und dem KOP besuche ich beide Familien. Gemeinsam klären wir sie über das geltende Recht und die Glaubenslehre auf. Die Mütter sind schnell überzeugt. Auch die Väter geben ihren Widerstand nach und nach auf.
MUMM: Diese Arbeit unterscheidet sich von der Polizeiarbeit wie ich sie bisher wahrgenommen habe. Warum hat die Polizei die Stelle für einen Integrationsbeauftragten geschaffen?
Thomas Müller: Anlass war der 11. September 2001, die Anschläge auf das World Trade Center in New York. Um Kontakt zu der islamischen Bevölkerung aufzubauen, hat Bremen, wie auch die anderen Bundesländer, einen Integrationsbeauftragten benannt. Die Situation war damals von gegenseitiger Unkenntnis geprägt. Die Integrationsbeauftragten mussten neue Kontakte knüpfen und Vertrauen auf beiden Seiten aufbauen.
MUMM: Und warum bist du Integrationsbeauftragter geworden?
Thomas Müller: In meiner Masterarbeit über junge Intensivtäter bin ich darauf gestoßen, dass viele junge Täter Migrationshintergrund haben. Ich habe mich gefragt: Warum ist das so, was sind die Hintergründe? Als 2010 die Stelle zur Wiederbesetzung ausgeschrieben war, habe ich mich sofort beworben.
Mit dem Wort Migrationshintergrund habe ich übrigens so meine Schwierigkeiten. Für mich sind das Deutsche mit fremden Wurzeln. Ich merke, dass sich diese Sicht bei der Polizei und in der Bevölkerung immer mehr durchsetzt.
MUMM: Wie sieht ein typischer Arbeitstag des Thomas Müller aus?
Thomas Müller: Morgens nehme ich an der Lagebesprechung der Polizei Bremen teil. Es ist gut, dass ich im Stab angegliedert bin. So bekomme ich gleich ein Gefühl dafür, was in der Stadt los ist.
Anschließend sichte ich die Polizeiberichte und suche mir die Fälle heraus, bei denen ich unterstützen kann, wenn ich nicht schon direkt angefordert worden bin.
Danach ist eigentlich jeder Tag anders.
Aktuell berate ich die Polizeiinspektion bei der Einrichtung eines Flüchtlingsheimes in Bremen-Nord. Außerdem schule ich als interkultureller Trainer Kolleginnen und Kollegen der Polizei und aus anderen Ressorts. Besonders wichtig ist für mich die Zusammenarbeit mit der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen. Wir arbeiten an den gleichen Problemen. Da ist es wichtig, dass wir uns verstehen und verständigen.
Ich beobachte die aktuellen Entwicklungen in Bremen. Aus welchen Ländern kommen die Menschen hierher? Wie kann ich Kontakte zu ihnen und ihren Organisationen aufbauen? Aufgrund des Syrienkonfliktes haben wir neuerdings syrische Christen als Flüchtlinge in Bremen. Da gibt es einen Bischoff in Delmenhorst mit dem ich, wenn es erforderlich ist, zusammenarbeite.
MUMM: Das hört sich nicht wie ein Achtstundentag an. Wie ist das mit deiner Arbeitszeit?
Thomas Müller: Die muss ich immer ein bisschen an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Wenn ich, wie zurzeit im Ramadan, abends nach Sonnenuntergang zum Iftar-Essen** in die moslemischen Gemeinden eingeladen bin, wird es auch schon mal 11 Uhr nachts. Dafür fange ich dann am nächsten Tag später an.
MUMM: Trägst du eigentlich immer Uniform?
Thomas Müller: Auch das passe ich an die Gegebenheiten an. Wenn ich das erste Mal zu einer afrikanischen Gruppe gehe, trage ich zivil. Die Menschen haben ein großes Misstrauen gegen Polizei in Uniform. In ihren Herkunftsländern haben sie Polizei oft als korrupt und gewalttätig erlebt. Da muss ich als "Mensch" erstmal Vertrauen schaffen. Zum Iftar-Fest ziehe ich immer die Uniform an. Sie wird von den dortigen Würdenträgern als Ehrerbietung angesehen.
MUMM: Danke, dass du uns Einblick in deine Arbeit bei der Bremer Polizei gewährt hast.
Das Intervies mit Homas Müller führte Karen Vogel-Krawczyk
*Islamischer Religionsgelehrter
**Fastenbrechen nach Sonnenuntergang während des Ramadan