Die Politik der neuen Bundesregierung muss den sozialen Ausgleich und eine gerechtere Gesellschaft zum Ziel haben, um der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft entgegen zu wirken. Die Herausforderungen sind dabei groß. Sie reichen von der Beendigung der weiter schwelenden Eurokrise bis zur Sicherung von angemessenen Renten, von der Regulierung der Finanzmärkte bis zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende.
Ein weiteres zentrales Thema in den nächsten vier Jahren wird die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sein. Dieses Thema wird um so wichtiger, da in der Steuerpolitik keine weitreichenden Entscheidungen getroffen werden dürften - also die Einnahmeseite der öffentlichen Hand unterentwickelt bleiben wird. Dabei ist die Feststellung so schlicht wie wahr, dass insbesondere die schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft auf eine breite und qualitativ hochwertige öffentliche Daseinsvorsorge (u. a. Bildung, Jugendhilfe, Arbeitsförderung, Integration, Altenhilfe und sozialer Wohnungsbau) angewiesen sind.
Allerdings werden diese Bereiche vor dem Hintergrund der Haushaltslage der Länder und Kommunen und der Schuldenbremse finanziell weiter unter Druck geraten. Da in einer großen Koalition eine Mehrheit für steuerliche Mehrbelastungen von Wohlhabenden nicht erkennbar ist und allein durch den Verzicht auf eine Vermögensteuer dem Land Bremen Einnahmen in Höhe von 100 Millionen Euro jährlich entgehen, muss auf anderen Wegen finanzieller Handlungsspielraum geschaffen werden. Hierzu zählt zumindest eine solidarische Lösung für die Altschulden der Länder, Konzepte für Altschuldentilgungsfonds liegen bereits auf dem Tisch. Eine weitere Einschränkung öffentlicher Dienstleistungen und damit verbunden sozialer Sicherungen führt zu einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft und zu regional ungleich ausgeprägten Lebensverhältnissen.
Auch eine Neuordnung des Arbeitsmarktes ist dringend geboten. Wer Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können. Dass dieser Grundsatz überhaupt in Frage gestellt wird, ist in einem Sozialstaat schon erstaunlich. Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde ist dringend geboten. Der ohnehin klamme Staat kann nicht weiterhin Dumpinglöhne aufstocken. Des Weiteren muss den zunehmenden Beschäftigungs- und Einkommensrisiken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch eine Neuregulierung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs, Leiharbeit und Befristungen entgegengewirkt werden.
Es kann aber nicht nur darum gehen, die Zunahme von schlecht bezahlten und un-
sicheren Arbeitsverhältnissen zu stoppen. Auch die Möglichkeiten von beruflichen Aufstiegen sind zu verbessern, etwa durch die Förderung von Fortbildungen zur Erlangung weitergehender Berufsabschlüsse. Und eine größere Durchlässigkeit im Bildungssystem ist notwendig, damit zukünftig mehr Beschäftigte Zugang zum Hochschulsystem bekommen.
Die Lebensstandardsicherung muss wieder das Ziel der Rentenversicherung werden. Ohne politische Korrekturen werden zukünftig immer mehr Menschen trotz langjähriger Beitragszahlungen keine Rente oberhalb der Grundsicherung beziehen. Die gesetzliche Rentenversicherung verliert damit ihre Akzeptanz. So wichtig Fragen um eine stärkere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (Mütterrente) und verbesserte Erwerbsminderungsrenten auch sind, werden strukturelle Probleme nur mit einem angemessenen Rentenniveau gelöst werden können.
Gelingt der neuen Regierungskoalition ein solch sozial-integrativer Politikansatz, würde sie auch ihren Beitrag für eine umfassende Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am politischen Prozess leisten. Denn es ist besorgniserregend, dass immer weniger, vor allem ökonomisch schlechter gestellte Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.
Ingo Schierenbeck