"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Linnert, sehr geehrter Staatsrat Lühr,
für den Bereich Soziales im öffentlichen Dienst übernehmen auch wir vom Martinshof als Werkstatt für Menschen mit Behinderungen einen wichtigen Teil der Aufgabe, den bunten Vögeln, die wir Menschen sind, das Fliegen durchs Leben zu ermöglichen.
Diversity ist voll angesagt und lässt bunte individuelle Vögel zu.
Der Umgang, den wir gleichberechtigt miteinander unter dem großen Leitziel der Inklu-sion pflegen, ist respektvoll.
Respekt verlangen aber auch wir Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn es um die Anerkennung der von uns geleisteten Arbeit geht und auch um die Wahrnehmung unserer Grenzen darin.
Wir in der Werkstatt erwarten, dass wir nicht 120 % leis-ten müssen, sondern dass eine notwendige Vertretungszeit anerkannt wird und damit in die Personalbemessung einfließt.
Seit 2008 kämpfen wir für einen Vertreterpool. Noch vertreten wir uns einfach gegenseitig,
leisten Mehrarbeit. Unsere KlientInnen und wir leiden darunter.
Dann auch noch Geld durch die Nicht-Nachbesetzung und den weiteren Abbau von Stellen zu sparen, ist echt das Allerletzte.
Jede Maschine wird geölt, gehegt und gepflegt, und abgeschaltet, bevor sie zu heiß läuft, sonst gibts richtig Ärger mit dem Chef. Aber mit uns Menschen wird umgegangen, als bräuchten wir keinerlei Fürsorge und Pflege. Marke: Sorgt doch für euch selbst, entspannt euch halt, treibt etwas Sport und lasst liegen, was nicht mehr geht, schraubt eure Ansprüche runter. Bremen ist Haushaltsnotlageland, da geht eben nicht mehr alles.
Bei uns in der Werkstatt Bremen bedeutet das schuldengebremste "Liegenlassen" dann, dass die bunten, ganz individuellen Vögel rumsitzen und lange vergeblich auf ihre "personenzentrierte Förderung" warten können.
Sie sitzen grau und still mit gestutzten Flügeln in den Hallen, wo eine Fachkraft mit wenigen starken MitarbeiterInnen völlig überlastet versucht, die Produktion für Mercedes und andere Profitunternehmen am Laufen zu halten. Für die Mehrheit der 30 schwachen Vögel bleibt da eben keine Zeit und Kraft mehr. Die sitzen und warten auf bessere Zeiten, malen Mandalas und spüren, wie der Tag vergeht.
Und sie haben doch nur dieses eine Leben, um ihre Flügel entfalten zu können.
Sie wissen es häufig nicht und können sich nicht wehren
oder gar davonfliegen.
Aber wir können und müssen uns wehren:
Es gibt uns als Fachkräfte in der noch immer so genannten "Behindertenhilfe". Wir sagen es weiter laut und deutlich und geben die Hoffnung nicht auf, gehört zu werden: Es braucht auch für die Förderung von erwachsenen Menschen mit Behinderungen mehr Personal! In Inklusion muss wie in Kitas und Schulen auch hier maßgeblich investiert werden, sonst bleibt gleichberechtigte Teilhabe nichts als eine leere Floskel.
Schulden haben keine Flügel. Die Menschenwürde ist mehr wert."
Antje Goethe, Werkstatt Bremen