Im Jahr 1221 wird erstmals das Staatsarchiv Bremen in einer Chronik erwähnt. Es ist damit eine der ältesten Einrichtungen Bremens. Heute ist das Staatsarchiv ein modernes Dokumentations- und Informationszentrum für alle Interessierten. Es bewahrt die Historie Bremens und erschließt auf gesetzlicher Grundlage das archivwürdige Schriftgut der öffentlichen Einrichtungen des Landes und der Stadt Bremen. Viele Millionen wertvolle Dokumente in Schrift- und Bildform liegen im Staatsarchiv, auch aus dem Erwerb von Privatpersonen. In Werkstätten und Magazinen werden die Bestände gepflegt und unterhalten. MUMM wollte mehr wissen über das Staatsarchiv Bremen und traf sich deshalb mit der Kollegin Monika Marschalck und dem Kollegen Joachim Koetzle. Als Leiter der Fotografie ist Joachim Koetzle für die Erhaltung und Pflege der Bildbestände unserer historischen Stadtgeschichte mitverantwortlich. Monika Marschalck ist die Frau der Recherchen und gibt sachkundige Auskünfte zu allen Fragen.
MUMM: Herr Koetzle, was macht ein Fotograf im Staatsarchiv?
J. Koetzle: Wir haben jährlich ca. 9.000 persönliche und schriftliche Benutzungen zu den unterschiedlichsten Themen und Zwecken. Da gibt es z. B. den Studenten, der seine Diplomarbeit schreibt und Bildmaterial zu Bürgermeister Hildebrandt (1914) braucht. Ich kann dem jungen Mann entweder mit einer Kopie oder einer Reproduktion von zeitgeschichtlichen Bildern weiterhelfen. So bearbeite ich im Jahr ca. 250 Fotoaufträge für Einzelpersonen und Institutionen. Derzeit sichten wir einen Privatnachlass mit einer umfangreichen Fotosammlung, um ihn im Anschluss zu archivieren. Übrigens: In den 70er Jahren wurden in der Fotowerkstatt vier KollegInnen beschäftigt. Heute wird leider nur noch eine dreiviertel Stelle dafür vorgehalten.
MUMM: Frau Marschalck, wie sollen wir uns "Recherche" vorstellen?
M. Marschalck: Das kann ich am besten an einem Beispiel erklären. Eine junge Frau möchte eine wissenschaftliche Arbeit über die Geschichte des Krankenhauses Bremen-Ost schreiben. Bei uns findet sie sowohl Informationen über die Gebäude und deren Historie, aber auch über die Entwicklung der Einrichtung und ihre Arbeit. Dazu können wir ihr Kopien oder Reproduktionen anbieten. Das Staatsarchiv verfügt über ein riesiges, sehr umfangreiches Magazin, welches sich auf 10 Etagen erstreckt.
MUMM: Das ist ja enorm, wie finde ich denn da die Informationen, die ich brauche?
M. Marschalck: Um alles wiederfinden zu können, führen wir sogenannte "Findbücher". Sie geben eine komplette Übersicht darüber, was in den einzelnen Akenbeständen archiviert ist.
MUMM: Und das funktioniert auch über 10 Etagen?
M. Marschalck: Ja, das funktioniert, weil alle MitarbeiterInnen - wir sind 21 KollegInnen und 5 Azubis - ein hohes Interesse daran haben, alles so zu archivieren, dass NutzerInnen es auch finden können. Und unten im Erdgeschoss haben wir für die BesucherInnen einen Lesesaal, in dem sie dann in den gefundenen Archivalien recherchieren können.
MUMM: Kann ich hier auch Dokumente über mein altes Haus finden?
J. Kötzle: Nicht, wenn es noch steht. Erst, wenn es ein Haus nicht mehr gibt, kann die Bauakte Einzug im Staatsarchiv halten. Wir archivieren ausschließlich historische Dokumente.
Kommen wir zu den Behörden. Wie erkenne ich als Beschäftigte, ob es sich um eine historische Akte oder eine schlichte Altablage handelt?
M. Marschalck: Gut, dass Sie fragen. Viele Behörden wissen gar nicht, dass sie gar keine Akten wegwerfen dürfen. Durch das Landesarchivgesetz ist nämlich vorgeschrieben, dass alle nicht mehr aufzubewahrenden Akten, dem Staatsarchiv angeboten werden müssen. Hier werden sie auf ihre "Archivwürdigkeit" untersucht und entweder ins Staatsarchiv übernommen oder vernichtet. Meistens werden die alten Akten dem Staatsarchiv zugeschickt. Wir kommen aber auch gern in die Dienststelle, um vor Ort das Aktenmaterial zu sichten.
MUMM: In einem Magazin habe ich unzählige Karteikästen gesehen. Was wird da denn gesammelt?
M. Marschalck: Das ist die Auswanderer-Kartei. Viele Personen, die ab 1946 über Bremen/Bremerhaven in die Welt ausgewandert sind, können bei uns wiedergefunden werden. In diesen Schränken gibt es ca. 1,5 Millionen alphabetisch sortierte Karteikarten für Einzelpersonen bzw. Familien.
MUMM: Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?
J. Koetzle (lächelnd): Übrigens: Staub gibt es hier nicht. Im Staatsarchiv ist es überhaupt nicht verstaubt.
Neben den ArchivarInnen gibt es auch eine Restauratorin bei uns. Das ist sinnvoll und notwendig, denn so manches Dokument kommt hier in sehr schlechtem Zustand an und muss restauriert werden. Die aktuellste Arbeit war jüngst die Bearbeitung und Aufbereitung der "Kundigen Rolle". Die Wiederbeschaffung der Kundigen Rolle war eine echte Sensation. Jetzt ist sie bei uns wieder sicher verwahrt.
MUMM: Vielen Dank für das interessante Gespräch. Wir wünschen weiterhin viel Freude bei der Arbeit und möglichst spannende historische Dokumente, Bilder und Nachlässe.
Das Interview führte
Nicoletta Witt