"Wasser ist Menschenrecht!" - unter diesem Titel wurde vor gerade einmal einem Jahr eine EU-Richtlinie zu Fall gebracht, mit der die Wasserversorgung privatisiert werden sollte. Weit mehr als eine Million EU-Bürgerinnen und Bürger machten mit ihrer Unterschrift deutlich, dass so existenzielle Dienstleistungen nicht dem privaten Profitinteresse ausgeliefert werden dürfen. Als wäre all dies nicht geschehen, versucht die EU-Kommission es jetzt gleich noch einmal im größeren Maßstab: TISA
TISA ist die Abkürzung für Trade in Services Agreement, ein Abkommen über die Handelsbeziehungen im Dienstleistungsbereich, über das derzeit zwischen USA, EU und rund 20 weiteren Staaten verhandelt wird. Die Verhandlungen finden außerhalb des eigentlich dafür vorgesehenen Rahmens der Welthandelsorganisation (WTO) statt, offenbar um zurückhaltendere WTO-Mitgliedsstaaten unter Druck zu setzen.
Im Rahmen der TISA-Verhandlungen tauchen auch andere alte Bekannte wieder auf. So fordern die USA offenbar erneut einen weitgehenden Zugriff auf Kontodaten aus anderen Ländern (SWIFT), und auch die Inhalte des ebenfalls an massivem öffentlichem Widerstand gescheiterten ACTA-Abkommens über Urheberrechte, stehen jetzt erneut zur Debatte.
Soweit bisher - trotz der bereits bei den TTIP-Verhandlungen (siehe MUMM 1/2014) geübten Geheimhaltung - bekannt geworden ist, sind schwerwiegende Auswirkungen für den öffentlichen Dienst zu erwarten. Eine Grundannahme in den Verhandlungen ist nämlich, dass es öffentliche Dienstleistungen quasi gar nicht gibt. Ausnahmen von der weitgehenden Deregulierung und Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs sollen nur in solchen Bereichen möglich sein, die in dem Abkommen ausdrücklich benannt werden. Wenn etwas vergessen wurde oder die Notwendigkeit von Sonderregelungen erst später sichtbar wird - Pech gehabt. Außerdem soll geregelt werden, dass Leistungen, die einmal privat erbracht worden sind, nicht mehr in öffentliche Trägerschaft zurückgeführt werden können. Ein Vorhaben wie die derzeitige Initiative, die Abfallwirtschaft in Bremen zu rekommunalisieren, wäre dann nicht mehr möglich.
Für jegliche Art von Regulierungen soll mit TISA Stillstand eintreten. Hinter den einmal erreichten Stand an Marktliberalisierung dürfte kein Staat mehr zurückfallen. Nachträglich Ausnahmen von dieser Regel geltend zu machen, könnte Entschädigungsansprüche auslösen, ähnlich wie beim Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Demnach wäre es nicht mehr ohne weiteres möglich, technische Normen zu verschärfen oder Qualifikationsanforderungen in bestimmten Dienstleistungen neu zu regeln. Dies gälte unabhängig davon, ob eine Regelung ausländische Anbieter beim Marktzugang benachteiligen würde oder nicht.
Besonders dramatische Folgen dieses Stillstandsgebots sind im Bereich der Finanzdienstleistungen zu befürchten. Nachdem unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008 allenthalben eine stärkere Regulierung dieses Sektors propagiert wurde, zeigt ein von wikileaks veröffentlichtes Verhandlungsdokument, dass TISA diesen Bestrebungen endgültig einen Riegel vorschieben soll.
Ein Problem mit noch kaum absehbaren Auswirkungen zeichnet sich durch TISA für den Arbeitsmarkt ab. Ausländischen Unternehmen wäre es danach erlaubt, MitarbeiterInnen in ein anderes Land zu entsenden, um dort Dienstleistungen zu erbringen. Damit könnten Tarifverträge unterlaufen werden. Außerdem wäre das Aufenthaltsrecht dieser Arbeitskräfte unmittelbar an ihre Arbeit gebunden, sie wären ihrem Arbeitgeber demnach vollständig ausgeliefert. Dies würde natürlich auch auf die Arbeitsbedingungen inländischer Arbeitskräfte zurückwirken - darin liegt ja gerade die Wirkung des entfesselten Wettbewerbs. Berichten zufolge wurden in den TISA-Verhandlungen bisher keinerlei Vorschläge für durchsetzbare Arbeitsnormen unterbreitet.
Burkhard Winsemann