Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Oder: Wenn man das durchschnittliche Pro-Kopf-Vermögen der Deutschen (88.000 €) mit einem Balken von 1,76 cm Höhe darstellt, müsste der Balken für den reichsten Deutschen mehr als 4 km (ja: Kilometer!) hoch sein. An Versuchen, die unfassbare Ungleichverteilung von Vermögen doch irgendwie fassbar zu machen, mangelt es eigentlich nicht. Aber wer kann sich schon 3,5 Milliarden Menschen wirklich vorstellen? Wer einen 4 km hohen Balken?
Ebensowenig fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was die enorme Reichtumskonzentration anrichtet. Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wäre die deutsche Wirtschaft seit 1990 um 6 % stärker gewachsen, wenn die Einkommen gleichmäßiger verteilt wären. Wichtigster Grund dafür ist aus Sicht der OECD der hohe Anteil der einkommensschwachen Haushalte. Diese können nur wenig Geld für Bildung ausgeben. Damit stünden dann am Arbeitsmarkt nicht ausreichend hoch qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung.
Ob einkommensschwache Haushalte Geld für Bildung übrighaben oder nicht, wäre freilich kein so großes Problem, wenn die öffentlichen Bildungseinrichtungen ausreichend ausgestattet wären. Sind sie aber nicht, vor allem auch, weil jahrelang hohe Einkommen und Vermögen steuerlich entlastet worden sind.
Das obere Ende der Einkommensskala verursacht noch weitere Probleme, Luxusprobleme sozusagen. Wer vor 20 Jahren schon nicht wusste, wohin mit all dem Geld, der wird es durch weitere kräftige Einkommenssteigerungen auch nicht herausgefunden haben. Wer dagegen vor 20 Jahren nicht wusste, wie er über die Runden kommen soll und seitdem mit Einkommenszuwächsen unterhalb der Inflationsrate abgespeist wurde, hat kaum eine andere Wahl als sich noch weiter einzuschränken.
Das Ergebnis ist eine schwache Konsumnachfrage, die schon seit vielen Jahren das Wirtschaftswachstum in Deutschland bremst. Die Belebung des Konsums in den letzten zwei Jahren reicht bei weitem nicht aus. Die Hoffnung vieler Ökonomen, dass das, was nicht konsumiert wird, dann eben investiert werde, geht nur buchhalterisch auf. Die Mehrung privaten Reichtums erfolgt immer weniger durch zusätzliche Investitionen und immer mehr als Gegenstück zur Verschuldung anderer, nicht zuletzt der öffentlichen Haushalte. Die Staatsverschuldung, ob in Deutschland oder Griechenland, kann nur wirksam begrenzt werden, wenn das Wachstum der großen Vermögen gestoppt wird.
In der wohl bedeutendsten wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichung des vergangenen Jahres hat der französische Ökonom Thomas Piketty die Entwicklung der Vermögen und ihrer Verteilung in zahlreichen Ländern über lange Zeiträume untersucht. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass die Vermögensbestände in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind.
Daraus folgt allerdings leider nicht, dass wir uns zufrieden an unserem großen Reichtum ergötzen können. In unserem Wirtschaftssystem wird Vermögen im Allgemeinen in der Erwartung angesammelt, damit Profit zu erzielen. Immer weiter steigende Vermögen greifen daher in immer stärkerem Maß auf das gesamtwirtschaftlich erzielte Einkommen zu, zu Lasten der Arbeitseinkommen.
Eine Fortsetzung dieser Entwicklung stößt an Grenzen. Entweder müssen die Renditen auf ein geringeres (Durchschnitts-)Niveau zurückfallen. In diese Richtung wirkt etwa die derzeitige Geldpolitik mit dem niedrigen Zinsniveau. Durchschlagende Erfolge sind davon aber nicht zu erwarten, weil die eigentliche Verteilung zwischen Arbeitseinkommen und Gewinnen an anderer Stelle entschieden wird.
Oder aber das profitsuchende private Kapital muss verringert werden. Das große historische Vorbild zweier Weltkriege sollte dafür aber nicht in Betracht gezogen werden. Ordentliche Vermögenssteuern tun es auch.
Burkhard Winsemann