Unlängst waren die Maler beim Gesamtpersonalrat unterwegs, und auch mein Büro erhielt eine Auffrischung. Bei solchen Gelegenheiten stößt man unweigerlich auf längst vergessene Schätze aus grauer Vorzeit - hier: aus dem vorigen Jahrtausend. "Wir fragen das Stadtamt" lautet der Titel eines 90 Seiten starken Bändchens, das mir dabei in die Hände fiel. Journalistisch aufbereitet wird darin viel Wissenswertes über die vom Stadtamt bearbeiteten Rechtsgebiete vermittelt und die doch erhebliche Breite des Dienstleistungsangebots aufgezeigt. Weitere Fundsachen aus jener Zeit unterstreichen, dass seinerzeit landauf, landab eine ganze Welle von Projekten den öffentlichen Dienst erfasste, die die Zusammenfassung von öffentlichen Dienstleistungen zum Ziel hatten. Aufbauend auf den sich rasant entwickelnden informationstechnischen Möglichkeiten wollte man den Bürgerinnen und Bürgern ein möglichst umfassendes Leis-tungsspektrum „aus einer Hand“ anbieten. Zum Beispiel, dass man bei einem Umzug nicht nur sich, sondern im gleichen Aufwasch auch sein Auto ummelden kann. Wer gerade einen Umzug zu stemmen hat, weiß solche Erleichterungen zu schätzen, ebenso wie derjenige, der ein Gewerbe anmelden will und dafür mitunter auch ein polizeiliches Führungszeugnis braucht.
Auch viele Beschäftigte konnten dem angereicherten Aufgabenumfang und dem mit dem Begriff Bürger-Service verbundenen moderneren Verständnis von Verwaltung etwas abgewinnen. Und so fanden sich auch immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die der bekannt hohen Arbeitsbelastung furchtlos ins Gesicht blicken wollten. Für viele blieb es allerdings bei einem kurzen Augenblick. Jahrelang wurde versucht, die strukturell zu schwache Stellenausstattung mit der Zuweisung von Poolkräften zu kaschieren, denen aber kaum Chancen gegeben wurden, sich im Stadtamt auf Dauer zu verankern.
Zeitweise war bis zu einem Viertel der Beschäftigten quasi auf Abruf und noch in Einarbeitung. Kein Wunder, dass da nicht alles reibungslos funktionierte und Bürgerinnen und Bürger sich immer häufiger über lange Wartezeiten ärgerten. "Bürger-Service" wurde stadtweit zuletzt als satirische Wortschöpfung verstanden.
In einer solchen Situation ist entschlossenes politisches Handeln gefragt. Ein Leuchtfeuer der Handlungsfähigkeit sozusagen. Zu kleinteilig und vielleicht in ihrer Anzahl auch etwas einschüchternd waren da wohl die 785 Empfehlungen für effektivere Arbeitsabläufe, die vor wenigen Jahren im Projekt "Stadtamt zukunftssicher gestalten" erarbeitet wurden. Zu naheliegend wäre es gewesen, dem eigentlichen Problem, dem Mangel an gut eingearbeitetem Personal, mit einer stabilen und dem Aufgabenumfang entsprechenden Stellenausstattung zu begegnen.
Stattdessen soll das Stadtamt jetzt wieder in ungefähr die gleichen Einzelteile zerlegt werden, aus denen es einstmals zusammengebaut wurde. Die Warteschlangen werden bleiben, sie verteilen sich nur neu über die Stadt. Vielleicht werden sie sogar länger, weil saisonale Schwankungen bei einzelnen Leistungen viel stärker ins Gewicht fallen. Den Frühjahrsansturm bei den Kfz-Anmeldungen und die Sommersaison bei den Reisepässen müssen dann womöglich jeweils kleinere Einheiten bewältigen. Im Sommertheater der bremischen Politik gibt es dann wieder Hau-Ruck-Aktionen mit "solidarischer Amtshilfe". Diesmal vielleicht durch Kolleginnen und Kollegen, die gerade eben noch im gleichen Amt tätig waren.
Burkhard Winsemann