Inklusion betrifft alle Mitglieder einer Gesellschaft und bedeutet für jedes einzelne Individuum dazuzugehören, dabei zu sein, eingebunden zu sein, nicht abgeschoben und ausgegrenzt zu werden, kein Sonderfall zu sein, mit allen individuellen Besonderheiten, Eigenheiten, Stärken und Schwächen und Interessen akzeptiert zu werden.
Alle Menschen haben das Recht, dabei zu sein - inklusiv, auch das lernbehinderte Kind, der verhaltensauffällige Jugendliche, die Schülerin im Rollstuhl.
Als Deutschland 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifizierte übernahm Bremen als erstes Bundesland diese Forderungen in sein Schulgesetz und fand dafür bundesweit Beachtung und Lob. Es wurde für die Schulen ein Unterstützungssystem in Form von Regionalen Beratungszentren (ReBuZ) und Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) an jeder Schule geschaffen. Leider sind die hierfür erforderlichen Ressourcen nicht im erforderlichen Maße an die Schulen und Unterstützungssysteme gegangen (siehe Rechnungshofbericht aus 2012). Die Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Schulen verschlechterten sich von Jahr zu Jahr, und die Zustimmung und Akzeptanz der Inklusion bekam spürbare Risse. Die mangelnde personelle und räumliche Ausstattung wurde oft als entscheidender Grund für eine spürbare Unzufriedenheit der Kollegien mit ihrer Arbeit insgesamt angeführt. Die Oberschulen bekamen neben den Gymnasien den Auftrag, alle Schüler_innen zu fördern und zu bilden. Vom inklusiven Unterricht auch behinderter Kinder waren und sind die Bremer Gymnasien aber weitgehend ausgeklammert.
Der Versuch am Gymnasium Horn, die Einrichtung einer Inklusionsklasse zu verhindern, ist auch Ausdruck dieser Tendenzen. Aber die Befürwortung von frühzeitiger Leistungsselektion und Ausschluss von Kindern, die kein "Turboabitur" anstreben, ist aus unserer Sicht die Abkehr der weiter oben genannten Gedanken von Teilhabe, Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt und Toleranz. Das ist traurig, denn integratives Denken und Handeln hat sich in Bremen über Jahrzehnte entwickelt und ist über viele Projekte in der Stadt gewachsen. Der Studiengang Behindertenpädagogik an der Uni Bremen war über Jahre führend in der wissenschaftlichen Forschung und Ausbildung auf diesem Gebiet. Die gemeinsame Betreuung von behinderten und nichtbehinderten Kindern in den Kitas der bremischen evangelischen Kirche war bundesweit und auch international ein vielbeachtetes Modell und Vorbild für andere Träger. Viele Einrichtungen und Initiativen in Bremen lassen diesen Geist der Integration spüren.
Und dass Gymnasien sehr wohl erfolgreich die Gedanken der Inklusion angehen und umsetzen, zeigen die jahrelangen Erfahrungen der Bremer Gymnasien in Vegesack und Obervieland sowie von Schulzentren, die in Formen kooperativer Beschulung auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit "Gymnasiasten" unterrichteten.
Zur Umsetzung des inklusiven Gedankens ist ein geändertes Wertesystem in der Gesellschaft erforderlich, das allen Menschen die gleichen Rechte einräumt, Vielfalt akzeptiert und als selbstverständlich voraussetzt, auch am Gymnasium, solange es eine gesellschaftlich gewollte Schulform ist ...
Mareen Sieb, Julia Wolters, Michael Strosetzky (Sprecher_innen GEW-Fachgruppe Inklusion und Sonderpädagogik)
Die Klage mit dem Ziel, behinderte Kinder nicht an einem Gymnasium aufnehmen zu müssen, richtet sich nicht vorrangig gegen politisch verursachte unzureichende Bedingungen. Sie entspringt unter Umständen auch einer Haltung, bestimmte Gruppen von Menschen aus der allgemeinbildenden Schule herauszuhalten. Damit soll im Kern ein elitäres Bildungsverständnis zementiert werden, welches einer demokratisch verfassten Gesellschaft sowie dem Bremer Schulgesetz entgegensteht. Es geht um Sortierung und Selektion. Es geht um die Sicherung des Rohstoffes "Bildung", der durch politische Entscheidungen verknappt und damit einem gesellschaftlichen Konkurrenzkampf hingeworfen wird.
Die Klage war geeignet, die soziale und kulturelle Spaltung in dieser Stadt voranzutreiben. Die Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe von Menschen darf in dieser Stadt an keiner Schule mehr Platz haben! Denn: Welcher Gruppe soll als nächstes die Tür gewiesen werden? Den Flüchtlingskindern?! Ihre Teilhabe am Unterricht wird zunehmend eingeschränkt, dadurch Bildungschancen vertan und "Integration" erschwert. Hier gilt es, Solidarität zu üben und beispielsweise Aktionen der Schüler_innen des Alten Gymnasiums "Für den Erhalt teilintegrativer Beschulung" zu unterstützen.
Apropos Solidarität: Der offene Versuch der AFD in Bremen-Nord, über eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen "Verletzung der Neutralitätspflicht" Lehrkräften zu verbieten, offene Auseinandersetzungen über politische Inhalte zu führen und gegebenenfalls rechtspopulistische wie menschenverachtende Positionen als solche herausarbeiten zu lassen, zeigt auf, was in diesem Land schon wieder möglich ist. Gegen Faschismus und seine Helfer darf es keine Neutralität geben! Dieser Angriff ist aber nicht nur gegen jede Form demokratiebildenden Unterrichts an unseren Schulen gerichtet, sondern insgesamt gegen Demokratie und Mündigkeit in dieser Gesellschaft. Rechte und menschenverachtende Meinungsmache sowie Denunziation hat an unseren Schulen und in der öffentlichen Verwaltung keinen Platz! Hier müssen wir alle, nicht nur Pädagog_innen, solidarisch eine klare Haltung beziehen - wenn nötig, auch laut und deutlich.
Christian Gloede