MUMM: Vielfalt (= Diversity) leben ist das Motto dieser MUMM - was bedeutet das für dich?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Vielfalt leben heißt, die Vielfalt in unserer Arbeitswelt und Gesellschaft wahrzunehmen, zu schätzen und vorurteilsbewusst zu gestalten. Unabhängig von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Identität, Alter und Behinderung. Wir müssen auch weitere Aspekte einbeziehen, wie Armut oder den Umgang mit Alleinerziehenden. Vielfalt leben heißt, einen solidarischen Umgang miteinander zu haben und Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen.
Vielfalt leben bedeutet auch, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und die Positionen darin zu reflektieren. Um es mit einem Bild zu sagen: Es reicht nicht, unterschiedliche Gäste einzuladen. Ich muss Fragen stellen: Wie kommen alle barrierefrei in den Raum? Wer kann sich den Dresscode nicht leisten? Wer hat Zugang zum DJ-Pult, und gibt es einen Musikmix, der allen gerecht wird? Vielfalt leben heißt, dass alle sich wiederfinden, mitmachen und mitentscheiden können.
MUMM: Warum ist Vielfalt (= Diversity) wichtig?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Diversity ist Realität. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist Basis des Diversity-Ansatzes. Unsere Gesellschaft und Arbeitswelt steht vor großen Herausforderungen. Einseitige Perspektiven müssen verhindert werden, gerade bei Zukunftsthemen wie der Digitalisierung. Mit vielfältigen Kompetenzen und Perspektiven werden Lösungen besser und von allen getragen. Das ist auch demokratisch. Durch digitale Verfahren kann Diskriminierung minimiert werden, aber Diskriminierungen können auch durch z. B. Algorithmen zementiert werden. Mit interdisziplinären und vielfältigen Teams kann sichergestellt werden, dass soziale Aspekte bei der Digitalisierung ausreichend berücksichtigt werden und Chancen entstehen.
MUMM: Habe ich persönliche Vorteile von Vielfalt? Was kann ich selber tun, um ein gutes vielfältiges Miteinander zu unterstützen?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Es fehlt mir oft in der Diskussion, wie viel Positives in Diversity liegt. Ein gut geführtes, vielfältiges Team hält zusammen und wird solidarischer. Das Arbeitsumfeld wird sicherer und produktiver. Diversity ist aber nicht widerspruchsfrei und voller Herausforderungen. Es ist wichtig, einen guten und offenen Umgang mit Widersprüchen und Konflikten zu haben. Schubladendenken und Vorurteile führen nicht weiter. Ich kann meine Haltung verändern, indem ich die Perspektive wechsle. Mir persönlich hilft es, mich selbst zu hinterfragen. In welcher Situation bin ich? Wer hat welche Chancen? Wo bin ich privilegiert, und wie kann ich weitere Perspektiven einbeziehen?
MUMM: Wie will der bremische öffentliche Dienst Vielfalt wirkungsvoll umsetzen?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Wir und die anderen - das ist eine Sicht, die wir wegbekommen müssen. Sie hilft uns nicht weiter. Es geht um Teilhabe und Chancengleichheit bei der Entwicklung unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, auf allen Ebenen Diversitykompetenz zu sichern, besonders auch in den strategischen und konzeptionellen Aufgaben. Hier hat der Senat mit dem Diversitykonzept eine wichtige Grundlage für den bremischen öffentlichen Dienst geschaffen.
MUMM: Welche Rolle spielen die Führungskräfte?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Wir brauchen eine erweiterte Führungskultur. Ein Gehirn allein kann die Komplexität und Geschwindigkeit der Veränderungen unserer Gesellschaft nicht bewältigen. Eine von Wertschätzung, Respekt und Vertrauen geprägte Kultur von Führung und Zusammenarbeit ist eine wichtige Grundlage. Die entwickelt sich aber nicht von allein. Führungskräfte müssen im Kontext von Diversity wirkungsvoll unterstützt werden: Wie führe ich vielfältige Teams? Wie erkenne ich vielfältige und neue Potentiale? Wie kann ich Konflikte ansprechen und lösen? Wie verhindere ich Diskriminierungen? Klare Vorgaben mit Beschwerdestrukturen und Verfahrensschritten für Führungskräfte machen diese handlungsfähiger.
MUMM: Wie können wir gegenüber Diskriminierungen sensibel werden und sie vermeiden?
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay: Diskriminierungen sind nicht abhängig von der Absicht, sondern von der Wirkung. „Ich habe es nicht so gemeint“ – da sollten wir nicht stehen bleiben. Betroffene sollen zu Wort kommen und gestärkt werden. Und die Diskussionen um Diversity und Diskriminierung müssen verständlich und klar geführt werden und allen zugänglich gemacht werden - in der Schule und auf der Arbeit. Wenn das gelingt, so ist meine Erfahrung, sind viel mehr Menschen bereit, freiwillig nichtdiskriminierend zu reden und zu handeln. Weil sie die Hintergründe verstehen und nachvollziehen können.
Das Interview mit Gülcan Yoksulabakan-Üstüay führte Doris Hülsmeier.