Muss das eigentlich wirklich sein? Wahlkampf könnte ja eigentlich ganz spannend sein. Eine Zeit der Zuspitzung, der Auseinandersetzung über politische Konzepte. Und das ganz öffentlich. Das wäre eine Sternstunde, nein, ein paar Sternwochen der Demokratie.
Stattdessen lassen wir uns immer wieder das genaue Gegenteil auftischen – und löffeln diese fade Suppe auch noch brav aus: Künstliche Aufregung über vermeintliche Verfehlungen von Kandidat:innen, völlig befreit von politischen Inhalten. Ganz offensichtlich soll nicht darüber geredet werden, was die Parteien in wichtigen Themengebieten so vorhaben. Als ginge es nicht um Klimaschutz und Gesundheitswesen, um Wohnungsbau und Rechtsstaatlichkeit.
Worum es vor allem nicht zu gehen scheint, ist Geld. Über Geld spricht man bekanntlich nicht, Geld hat man. Einige Wenige haben es sogar im Überfluss. So sehr, dass sie es zum Mond oder wenigstens in eine Erdumlaufbahn schießen wollen. Dafür steht der Wettstreit um die touristische Eroberung des Weltraums. Und auf der anderen Seite ist das Geld in den öffentlichen Haushalten nach Corona ziemlich knapp. Dennoch gibt es Parteien, die mit ziemlich abenteuerlichen Programmen zur Wahl antreten: Sie bieten großzügige bis üppige Steuergeschenke für die, die das am wenigsten brauchen. Sie erklären jede Form von Vermögensbesteuerung für Teufelswerk. Und sie fordern uns auf, jetzt alle wieder die große schwarze Null anzubeten.
Da müsste man schon mal drüber reden, ob es sich hier um schwere Fälle von Dyskalkulie, also Rechenschwäche, handelt. Und warum ausgerechnet Herr Lindner, der die aberwitzigste alternative Mathematik verkauft, schon mal das Finanzministerium für sich beansprucht.
Da ist es natürlich wichtig, dass nicht allzu genau hingeguckt wird. Nicht, dass noch jemand laut darüber nachdenkt, welche massiven Kürzungen bei diesen Parteiprogrammen drohen: Vielleicht die vollständige Streichung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung? Um etwa diese Größenordnung geht es nämlich. Oder sollen massiv Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gestrichen werden? Etwa ein Viertel, damit die Rechnung aufgeht? Erinnern wir uns: Zu den bremischen Haushaltsberatungen gab es schon mal Anträge mit genau dieser Stoßrichtung.
Während ich über dieser Kolumne brütete, ist die fade Suppe von einer trüben Brühe vom Tisch geschwemmt worden. Zu Recht beanspruchen die Flutkatastrophe, der schnelle Wiederaufbau und die Hilfe für die in Not geratenen Menschen einen großen Teil der Aufmerksamkeit. Wichtig ist, dass dabei nicht nur der unmittelbar nächste Schritt in den Blick genommen wird. Wichtig ist, dass wir uns zugleich fragen, welche mittel- und langfristigen Konsequenzen wir ziehen sollten, um solche Ereignisse zukünftig nicht noch häufiger erleben zu müssen und um unsere Infrastruktur widerstandsfähiger aufzustellen. Das geht nicht mit Steuergeschenken. Und auch nicht mit einer schwarzen Null.
Burkhard Winsemann