MUMM: Moin, Ernesto, Du bist der neue Chef beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Bremen. Wir sind neugierig – wie wird man das?
Ernesto Harder: (lacht) Man wird von Annette Düring (Vorgängerin) gefragt, ob man das machen möchte, ist davon begeistert und sagt ja. Im Ernst: Ich war mit Leidenschaft und Begeisterung sechs Jahre bei der IG Metall in Bremen Gewerkschaftssekretär und habe im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik die Betriebe betreut. Ich bin jemand, der gerne politisch wirkt. In meiner Bonner Zeit war ich 10 Jahre im Stadtrat. Bremen ist natürlich noch viel reizvoller - als Stadtstaat mit seiner enormen Vielfältigkeit und Kompetenz, auch schwierige Lagen in den Griff zu kriegen. Daher habe ich mich über die Wahl zum Vorsitzenden des DGB-Stadtverbands Bremen sehr gefreut.
MUMM: Du hast einen kämpferischen Vornamen ….
Ernesto Harder: …. wenn man Che Guevara kennt. Ich bin in guter spanischer Tradition nach meinem Großvater mütterlicherseits benannt. Meine Mutter ist nämlich Spanierin.
MUMM: Was hast du dir vorgenommen mit dem DGB Bremen, welche Themen liegen dir besonders am Herzen?
Ernesto Harder: Zurzeit überlagert der Krieg in der Ukraine alles. Da ist es mir vor allem wichtig deutlich zu machen, dass der DGB ein Teil der Friedensbewegung ist. Dieser Krieg muss sofort enden. Als Teil des DGB halte ich das Prinzip der Solidarität hoch: Solidarität mit der Ukraine, mit den Geflüchteten aus der Ukraine, aber auch aus aller Welt, die zu uns kommen und Hilfe brauchen; Solidarität auch mit den Menschen in Russland und Belarus, die sich mutig gegen diesen Krieg und für Demokratie aussprechen. Dennoch müssen auch weitere Themen fortgeführt werden, die auch wichtig sind. Von Annette Düring übernehme ich zwei zentrale Forderungen, die ich weiterhin unterstütze: Die Umlagefinanzierung für Ausbildung und die Ausweitung des Tariftreuegesetzes, damit öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen erteilt werden. Richtig am Herzen liegt mir aber, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder noch ein gute, gesunde Zukunft haben. Wissenschaftler*innen sind sich einig, dass jedes zusätzliche Grad Erderwärmung katastrophale Konsequenzen für die Menschheit hat. Klimawandel und Digitalisierung stellen umfassende Veränderungen für unsere Produktionsweise, unser Zusammenleben und die Art, wie wir arbeiten und leben, dar. Dieser Wandel wird nur dann sozial und ökologisch sein, wird nur dann nicht zulasten der Beschäftigten stattfinden, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Ohne uns Beschäftigte, Interessenvertretungen und Gewerkschaften wird das nicht funktionieren.
MUMM: Hast du auch Bezüge zu uns – zum bremischen öffentlichen Dienst?
Ernesto Harder: Ich bin ein echter Fan des Bürgerservice in Bremen – egal ob persönlich, telefonisch oder digital. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht und finde die Arbeit der Kolleg:innen ganz hervorragend. Gerade hatte ich wegen meiner Kinder mit dem Gesundheitsamt zu tun. Trotz der Belastungen durch die Pandemie hat mir die Kollegin so freundlich, so sachlich, so informativ weitergeholfen. Echt großartig. Riesenchapeau. Insgesamt sieht man an der Pandemie, wie wichtig ein leistungsstarker öffentlicher Dienst und seine ordentliche, ausreichende Ausstattung für die Gesellschaft ist. Nur so hat Bremen es hingekriegt, Impfmeister zu sein. Eine ausreichende finanzielle Ausstattung ist daher unverzichtbar und die Vorstellung von Steuersenkungen oder zusätzlicher Privatisierungen wirklich absurd.
MUMM: Der bremische öffentliche Dienst hat Probleme, Nachwuchs zu finden. Hast du Tipps, wie man die Arbeitgeber-Attraktivität steigern kann?
Ernesto Harder: Attraktiv sind nach meinen Erfahrungen Arbeitgeber, die eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen gewähren. Dazu gehören flexible Arbeitsmöglichkeiten im Sinne der Beschäftigten. Alternierende Telearbeit ist ein gutes Modell, das im Betrieb und zu Hause gesundes Arbeiten sicherstellen muss mit einer gesundheitsgerechten Ausstattung (Notebook, Monitor, Tastatur, Maus, Bürostuhl und Tisch etc.) und einer pauschalen Aufwandsentschädigung. Auch bei einer Flexibilisierung der Arbeitszeit müssen die Interessen der Beschäftigten im Vordergrund stehen. Den Entwurf des Senats zu Ausgestaltung von Lebensarbeitszeitkonten finde ich vor dem Hintergrund eher enttäuschend. Der DGB hat ihn daher mit den betroffenen Mitgliedsgewerkschaften abgelehnt. Die Flexibilisierungsmöglichkeiten sind sehr stark reglementiert und durch die Interessen des Arbeitgebers bestimmt. Das ist nicht attraktiv.
MUMM: Du hast als DGB-Vorsitzender direkte Berührungspunkte zu unserer Arbeitgeberin, der Freien Hansestadt Bremen?
Ernesto Harder: Ja, der DGB ist eine Spitzenorganisation der Gewerkschaften und wird bei der Vorbereitung allgemeiner beamtenrechtlicher Regelungen beteiligt. Meine erste Erfahrung war das Gespräch mit dem Senator für Finanzen und Vertreter:innen seines Hauses über die Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamt:innen. Im Kern empfand ich das auch nicht anders als bei den Tarifverhandlungen, die ich in der Industrie geführt habe: Es geht um den Interessengegensatz von Beschäftigten und Arbeitgebern. Auch hier sehe ich meine Aufgabe darin, mich stark zu machen für die Interessen der Beschäftigten – ob Tarifbeschäftigte oder Beamt:innen.
MUMM: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Doris Hülsmeier.