Sie sind hier:

Sozial zielgenauer Unterstützung leisten

Inflation kennt nicht nur Verlierer:innen

Portrait Von Rudolf Hickel

In diesem Winter steht Deutschland vor einer doppelten Herausforderung: Nach der Inflationsrate von 10 Prozent Ende des Spätsommers wird der Preis für einen Warenkorb des durchschnittlichen privaten Konsums weiter steigen.
Krise im Doppelpack
Die Krise kommt im Doppelpack daher. Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird nach dem starken Absturz im ersten Corona-Jahr erneut einbrechen. Die offiziellen Prognosen – Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4% in 2023 – unterschätzen dabei die Abschwungdynamik noch. Die anhaltende Krise der Globalisierung durch weltweit gestörte Lieferketten,
die durch den Krieg in der Ukraine explodierende Energiepreise,
die mit der Marktmacht der Monopole und Spekulationsgeschäfte getriebene Preistreiberei und die infolge der Zinswende der Europäischen Zentralbank ausgelöste Verteuerung dringend gebrauchter Kredite lassen einen stärkeren Einbruch erwarten.
In der Gesamtwirkung vor allem der Kostenbelastungen sinkt insgesamt die inländische Nachfrage und damit die Produktion. Auch der Arbeitsmarkt bleibt nicht verschont. Deshalb ist es richtig, dass der vereinfachte Zugang zur Kurzarbeit „als stabile Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal“ (Hubertus Heil) bis Dezember verlängert worden ist.
Inflation erkennen und bekämpfen
Die gesamtwirtschaftliche Krise erfordert:
Erstens müssen die Ursachen der Inflation und Rezession identifiziert werden.
Zweitens geht es auf der Basis der Ursachenanalyse um eine dagegen gerichtete Politik. Dabei sollte mit all den Antikrisenmaßnahmen der Pfad des ökologischen Umbaus gegen die alles überlagernde Klimakrise gestärkt werden.
Drittens ist es die besondere Aufgabe der Politik, gegen die ökonomischen und sozialen Folgen des in den kommenden Monaten nicht zu bremsenden Inflationsanstiegs Rettungspakete zu schnüren. Die Lehre aus der Corona-Krise wiederholt sich: Gebraucht wird ein handlungs- und finanzierungsfähiger Staat mit gut bezahlten und motivierten Beschäftigten. Dabei konzentrieren sich die staatlichen Programme gegen die Folgen der Inflation und Rezession: auf die Abfederung sozialer Härten, Rettungspakete für die Unternehmen, nicht nur für die Kleinunternehmen und Handwerksbetriebe, aber auch Hilfen für wichtige Einrichtungen der Infrastruktur (beispielsweise Schulen, Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe).
Inflation spaltet sozial
Die anhaltend hohe Inflation ist sozial zutiefst ungerecht. Sie vertieft die soziale Spaltung der Gesellschaft. Menschen am unteren Ende der Einkommenshierarchie sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, die Preissteigerungen für Energie und Nahrungsmittel zu bezahlen. Der Preis für den dort geltenden Warenkorb steigt erheblich stärker als für diejenigen, die sich im oberen Bereich der Einkommensausstattung bewegen. Die Belastung durch Inflation macht aber auch nicht vor den Beschäftigten im unteren Einkommensbereich halt. Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern muss bei einem verfügbaren Monatseinkommen um 3.000 € im Vergleich die höchste Inflationsrate aushalten.
Über die Ursachen der Inflation werden gezielt Irrtümer verbreitet. Drohende Not wird per „Fake News“ zur rechts-nationalistischen Propaganda missbraucht
Aber auch Marktradikale, die immer schon den Sozialstaat demontieren und das Tariflohn-system schwächen wollten, missbrauchen die Inflation für ihre Interessen.
Dabei zeigt sich klar: Die Inflation hat nichts mit dem Staat und seinen Staatsschulden zu tun. Im Gegenteil, nicht erst seit der Corona-Krise ist der handelnde Staat mit sozialen und ökonomischen Programmen als Retter aus der Not besonders gefordert. Auch sind die Energie- und Lebensmittelpreise nicht durch gewerkschaftliche Tarifpolitik ausgelöst worden. Im Gegenteil, die auf die Reallöhne konzentrierte Tarifpolitik muss jetzt bei den Abschlüssen über die nominalen Lohnerhöhungen die Inflationslasten berücksichtigen.
Die wahren Treiber der aktuellen Inflation sind die importierten Preise für fossile Energie und viele wichtige Rohstoffe. Es handelt sich um eine importierte Angebotsinflation, die durch Putins Krieg gegen die Ukraine forciert wird. Der jetzt machtpolitisch erzwungene Ausstieg aus der Gasenergie weist in die richtige Richtung des ökologischen Umbaus. Aber in einem Wirtschaftssystem, dessen industrielle Basis noch lange auf fossile Energie angewiesen ist, braucht der Umstieg Zeit.
In der Übergangsphase geht es nicht ohne staatlich gesicherte soziale Ausgleichs- und wirtschaftliche Überbrückungsprogramme. Die drei Entlastungsprogramme und der „Doppel-Wumms“ aus Berlin gehen in die richtige Richtung. Leider sind die beiden Flops - Tankrabatt und die wieder zurückgezogene Gaspreisumlage - nicht zu übersehen.
Entlastungspakete
Die Entlastungsmaßnahmen müssen sozial zielgenauer Unterstützung leisten. Die geplanten Strom- und Gaspreisbremse gehen durchaus in die richtige Richtung. Die von der Expertenkommission vorgeschlagene Gaspreisbremse ist jedoch noch zu wenig sozial ausgewogen. Es profitieren auch die Vermögenden mit ihren energieaufwändigen Villen. Grundsätzlich richtig ist der Gaspreisdeckel für ein Grundkontingent – etwa 70% des Gasverbrauchs in 2021 – mit 7 Cent pro kWh. Die Differenz zum Marktpreis übernimmt der Staat. Es sollte jedoch eine Obergrenze der Gaspreissubventionierung in Abhängigkeit vom Einkommen gelten. Ergänzend sollte bei den Kommunen ein Härtefallfondszur Vermeidung von Strom- oder Gasabschaltungen eingerichtet werden.
Die Inflation kennt nicht nur Verlierer:innen. Mit Monopolmacht ausgestattete Konzerne erzielen ohne eigene Leistung gegenüber Normalzeiten Übergewinne. Diese Übergewinne sollten mit einer Sondersteuer zur Finanzierung der sozialen Unterstützungsprogramme abgeschöpft werden. Das gilt beispielsweise für die machtvollen Mineralölkonzerne mit ihrer monopolistischen Preissetzungspolitik. Der Bremer Senat mit dem Bürgermeister Andreas Bovenschulte verdient Anerkennung und Unterstützung für seine Initiative im Bundesrat.

Rudolf Hickel

nächster Artikel